Ostsee-Umrundung | gesamt 6.972 km
Karlskrona (SWE) – Sölvesborg (SWE) | Tag 90 | heute 101 km
Mein Wecker geht heute etwas früher, ich habe noch die Reparatur im Kopf. Es ist wohl das erste Mal, dass an der Rezeption jemand nach einem Raum zur Reparatur seines Fahrrads fragt. Zunächst sind sie etwas verwirrt, bieten mir dann jedoch einen Raum an, für den ich mein Fahrrad durch die Rezeption über den Hinterhof in ein Nebengebäude trage, dass gerade saniert wird. Die Speiche ist nach 30 Minuten ausgetauscht, meine Vorräte stocke ich rasch im gegenüberliegenden Supermarkt auf.
Erst gegen 11 Uhr starte ich meine Fahrt aus Karlskrona heraus. Der Fahrradweg neben den Schnellstraßen ist zwar recht gut beschildert, trotzdem muss ich immer wieder anhalten, um zu sehen ob ich weiterhin richtig fahre. Eigentlich geht auch eine Fähre – aber natürlich nur im Sommer.
Auch heute arbeite ich wieder mit einer Mischung aus meinem GPS Track und der Komoot App. Mein eigentlicher Track hätte nicht nach Karlskrona hinein geführt, ohne Fähre muss ich wieder einen Umweg fahren.
Bedrohliche Unwucht
Ich hatte gehofft, dass mit der neuen Speiche auch die Unwucht beseitigt ist, die ich seit vorgestern Abend im Hinterrad spüre. Leider ist sie es nicht, und meine Befürchtung, dass der Fahrradmantel am Hinterrad schwächelt, bestätigt sich immer mehr. 1.000 Kilometer hatte er beim Start schon hinter sich, aber die 7.000 Kilometer mit dem schweren Gepäck haben ihm ordentlich zugesetzt. Die Lauffläche ist eigentlich noch in Ordnung, aber die Flanken beginnen an der Felge auszureißen, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein echter Riss entsteht.
An der Stelle setzt schnell das Kopfkino ein. Was passiert, wenn dies bei voller Fahrt mit 50 Stundenkilometern bergab mit einem voll beladenen Fahrrad passiert? Es wäre vermutlich kein schleichender Druckverlust, sondern ein sofortiger Platzer. So etwas haben wir schon zweimal bei unseren Mountainbikes erlebt. Dies im Kopf wähle ich heute öfter die kürzere Strecke, und lasse die ein oder andere Schleife links oder rechts liegen. Fahre langsamer um Kurven und nicht so rasant bergab. Und habe kaum den Kopf frei für die Schönheiten am Wegesrand.
Nachdem es in Karlskrona kein einziges dediziertes Fahrradgeschäft mit Werkstatt gab, google ich während meiner Mittagspause nach einem Radladen in meinem Zielort Sölvesborg. Ich möchte einfach gerne eine zweite Meinung einholen, ob es definitiv am Mantel liegt. Ich kalkuliere, dass ich mit den noch anstehenden 45 Kilometern gegen 17:20 Uhr dort sein müsste.
Es ist ein anstrengender Fahrtag, teilweise Gegenwind und viel mehr Höhenmeter als erwartet. Dabei immer das mulmige Gefühl, wenn der Reifen wieder schwimmt und ausschlägt. Ich zähle die Kilometer, und bei Kilometer 8 fahre ich an einem Schild vorbei: Noch 13 Kilometer. Das wirft mich 15 Minuten im Zeitplan zurück, vor allem bin ich schon echt geschafft. Ich gebe alles, um noch heute an dem Geschäft vorbeizukommen.
Als ich in Sölvesborg ankomme ist es 17:45 Uhr. Der Mechaniker ist wirklich nett und schaut sich das Rad an. Ich hebe das Hinterrad hoch, trete ins Pedal und nach kurzer Prüfung des Laufs und Sichtprüfung des Mantels bestätigt er meine Vermutung. Er bietet mir einen Mantel an zum Einbau, und ich frage ihn, ob er möglicherweise morgen früh Zeit hat, um die Felge etwas professioneller zu zentrieren und dabei direkt den Mantel zu tauschen. Und ja, zu meiner großen Erleichterung macht er das! Juhu!
Tipp: Weiter zum Bed & Breakfast Hotel Edgar. Bei dem Namen muss es gut sein, ich muss an meinen Freund Edgar in Tallin denken. Und tatsächlich bekomme ich einen sehr herzlichen Empfang vom Eigentümer Ken. Er ist selbst begeisterter Radfahrer und ist in diesem Jahr schon mit Mountainbike und Trail-Anhänger über einen Wandertrail in Schweden gefahren, den ‚Coast to Coast Trail. Er hatte die unbedingte Vision, diesen Weg fahren zu wollen. „Geht auch“, sagt er, „aber mit Anhänger wird es zur Qual!“. Er geht mit mir sofort zu einer großen Karte mit der Ostsee und die nächste Viertelstunde erzähle ich ihm von den verschiedenen Küstenabschnitten und schaue, wo er gefahren ist.
Abends hole ich meinen Schreib-Rückstand auf und bin froh, als ich gegen Mitternacht das Licht ausknipsen darf.