Ostsee-Umrundung | gesamt 8.132 km
Hohwacht (DEU) – Scharbeutz (DEU) | Tag 103 | heute 103 km
Was ist denn heute morgen los? Ich fühle mich nicht gut, die Nase ist zu. Als der Wecker geht, stelle ich ihn aus und schlafe sofort wieder ein. Mein Spiegelbild sieht auch etwas mitgenommen aus.
Der Ort Hohwacht ist schön, bevor es losgeht mache ich am Kai noch ein paar Radreiseglück Fotos. Dann heißt es in die Pedale treten. Es ist mein vorletzter Radreise Tag. Ich möchte möglichst dicht an Lübeck herankommen, um morgen nicht mehr so viele Kilometer vor den Reifen zu haben.
Eine Steilküste mit Begräbniswald bewegt mich zu einer ersten Pause. Hier kann man sich bestatten lassen und ewig dem Rauschen der Blätter und des Meeres lauschen. ‚Freden op’n Kliff‚ ist ein wirklich friedvoller Ort. Bis darauf, dass unten am Strand ein Schild vor Militärübungen warnt.
Der direkte Weg nach Lübeck wäre locker heute zu machen, aber die Route entlang der Küste geht zunächst über Weissenhäuser Strand nach Heiligenhafen. Dort war ich vor gut einer Woche noch beinahe, denn die Brücke nach Fehmarn beginnt etwas oberhalb. Im Yachthafen von Heiligenhafen genehmige ich mir eine Pause.
Da ich die Fehmarn Runde schon gedreht habe, kann ich direkt weiter entlang der Küste Richtung Süden drehen. Ich passiere viele Orte mit lustigen Namen wie Süssau, und immer wieder führt mich die Route an die Küste zurück.
Ein hübscher Leuchtturm aus dem Jahr 1880 bei Dahnehöved aus roten Backsteinen zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Wer meinen Blog verfolgt hat weiß, dass ich normalerweise jetzt den Leuchtturm besichtigen würde. Aber natürlich war das nur in den Sommermonaten bis einschließlich gestern möglich. Ich lache! Wie mich geschlossene Sehenswürdigkeiten und Cafés auf der Rückfahrt verfolgen, unglaublich.
Strand nur mit Kurkarte
Eine Sache kann ich hier an der Küste aber überhaupt nicht nachvollziehen. In diesem Abschnitt muss man Kurtaxe bezahlen, um an den Strand gehen zu dürfen. Wir haben das bei unserem Start in Deutschland schon gesehen, Automaten wie für Parktickets säumen den Strandbereich. Verargumentiert wird es damit, dass der Strand sauber gehalten wird. Sorry, aber demnächst kommen noch Automaten für den Waldzugang. Ich bin nun fast die gesamte Ostseeküste entlang gefahren, aber so etwas gibt es nur in Deutschland. Meer muss frei zugänglich sein, genauso wie Luft und Trinkwasser. Und mit einem Natura 2000 Gebiet werben, aber einen Spielplatz ins Naturschutzgebiet zu pflanzen, ist auch nicht schlüssig. Wohlgemerkt: Zugang nur mit Kurkarte. Zu dieser Jahreszeit kontrolliert eh keiner, für meine Fotos reicht es.
Bei Kellenhusen dreht meine Fahrrichtung nach Südwest gegen den 30 km/h starken Gegenwind. Herrje, denke ich, eine Menge Kilometer, nicht richtig fit, und jetzt auch noch Gegenwind. Ich nehme es gelassen und adaptiere meine Geschwindigkeit an die Gegebenheiten.
Es folgt ein kurzer Halt am Ehrenfriedhof Cap Arcona bei Neustadt. Hier liegen 621 Opfer der Versenkung des Luxusdampfers ‚Cap Arcona‘ und der ‚Thielbek‘ begraben. Auf den Schiffen hatten die Nazis KZ Insassen aus Neuengamme zusammengepfercht, um sie bei einem Näherrücken des Feindes durch Versenken verschwinden zu lassen. Die Schiffe sanken dann jedoch schon nach einem Luftangriff der Briten am 3. Mai 1945, insgesamt 7.000 Menschen starben. Sie hielten die Schiffe für potentielle Truppentransporter.
Schon im Dunklen radel ich durch das Zentrum von Neustadt, ein feiner etwas höher liegender Weg führt entlang des Ufers. Gemütliche Restaurants sind am Hafen mit historischem Segelschiff angesiedelt und wundervoll beleuchtet.
Haffkrug
Im Stockdunkeln verlasse ich Neustadt so schnell, wie ich hinein gefahren bin. Nur mit dem Licht meines Scheinwerfers kann ich die Strecke noch finden. Eigentlich dachte ich, ich muss heute bis Scharbeutz fahren, aber dann prüfe ich gerade noch rechtzeitig 400 Meter vor meiner Unterkunft, dass ich in einem Ort davor bleibe, in Haffkrug. So rufe ich zum letzten Mal meiner Tour: „One hundred!“ und genieße die warme Dusche, als hätte ich zwei Wochen keine gehabt.
Nahebei ist ein kleines griechisches Restaurant, und ich versuche mein Glück.
Tipp: Ich wünschte das Restaurant Corfu in Haffkrug wäre näher bei Jülich. Selten habe ich ein solches Restaurant erlebt. Die griechische Inhaberin, von ihren Gästen Martina genannt, bedient gleichzeitig auch. Sie ist ein kommunikatives Energiebündel. Für jeden Gast hat sie ein offenes Ohr, immer ein Lächeln im Gesicht und oft ein Lachen im Gespräch. Am ehesten lässt sich die Atmosphäre mit einem Wohnzimmer vergleichen, es gibt viele Stammgäste, man kennt und unterhält sich, auch tischübergreifend.
Wir finden einen kurzen Slot für ein Gespräch, Martina erzählt, dass sie dabei sind, das Haus zu verkaufen. Auch wenn sie so glücklich wirkt, sie möchte etwas anderes machen, es schlägt nach fast 30 Jahren auf die Gelenke und leider sind nicht immer nur die freundlichen Stammgäste hier. Im Sommer gibt es auch ungeduldige und unfreundliche Gäste. Ich frage sie, was sie machen wird. Einfach einen normalen kleinen Job, meint sie, mit dem sie abends zu Hause einen Feierabend haben kann, und Silvester feiern kann, ohne arbeiten zu müssen, wenn alle anderen frei haben. Manchmal ist es einfach an der Zeit, etwas anderes zu machen. Ihr gefällt, dass ich nach 20 Jahren den Mut hatte, etwas zu ändern und unsere Tour zu machen. So möchte sie es auch machen – wenn auch ohne Fahrradtour!
Ich gehe nach dem Restaurantbesuch auf die genau gegenüberliegende ‚Seebrücke Haffkrug‘. In der Ferne leuchten die Lichter der Lübecker Bucht, das nachtschwarze Wasser rauscht unter den Planken. In die Nacht schauend wird mir bewusst, dass es der letzte Abend meiner Tour ist, an dem ich alleine unterwegs bin. Es steigt etwas Wehmut in mir auf, und der Blick über die Wellen der rabenschwarzen Ostsee zum kaum erkennbaren Horizont lässt mich wieder spüren und schätzen, welch besonderes Erlebnis ich mit mir nehmen darf.
Morgen ist der letzte Tourtag meiner Ostsee-Umrundung. Der 104. Tag. Ich plane gegen 14.30 Uhr in Lübeck zu sein. Zurück in die Heimat nach Jülich geht es dann erst am Sonntag. Vorher feiern wir den Abschluss der Ostsee Umrundung! Hoffentlich gibt’s Marzipaneis!
2 Kommentare
Schön, dass du es praktisch geschafft hast. Da will ich mal nicht so sein und habe auch was gespendet, ich hoffe; dass es tatsächlich einem guten Zweck dient. Wir hatten uns auf eurer Hinreise im Zug von Düren nach Köln getroffen.
Lieber Ulf,
wow, das freut mich, vielen Dank! Ich erinnere mich an unser Gespräch, fast vier Monate ist es her!
Ich versichere Dir: Jeder gespendete Euro kommt an! Deshalb habe ich maximale Transparenz gegeben.
Da du während der Bonuswoche gespendet hast, legen wir nochmal 10 Cent pro gespendeten Euro drauf!
Ganz herzliche Grüße
Bernd