Ostsee-Umrundung | gesamt 6.871 km
Kalmar (SWE) – Karlskrona (SWE) | Tag 89 | heute 115 km
Wie an jedem Morgen prüfe ich als Erstes mit einem Blick nach draußen das Wetter. Die Autoscheiben sind weiß gefroren, und so geht mein Griff schnell zum Handy: -2° Celsius, gefühlte Temperatur -7° Celsius. So ein richtiger Antrieb ist das ja jetzt nicht. Ich hole nach dem Frühstück meine Wintersachen heraus, lange Strümpfe und Winterjacke. Nun gut, sage ich mir, dann kann ich sie wenigstens mal ausprobieren. Die Jacke ist nicht nur ultraklein im Packmaß und ultraleicht, sondern auch ultrawarm, ab und zu muss ich sie im Tagesverlauf öffnen.
Ölandbrücke- die längste Brücke Schwedens
Ich verlasse Kalmar, nicht jedoch ohne einen Abstecher mit Sicht auf die Ölandbrücke zu machen, die hinüber zur Insel Öland führt. Sie war bei Eröffnung 1972 die längste Brücke Europas. Heutzutage ist sie mit 6072 Metern Länge zumindest noch die längste Brücke Schwedens. Kalmar hat auch einige interessante historische Gebäude zu bieten, insbesondere ein Schloss aus dem 12. Jahrhundert, das im 16. Jahrhundert sein jetziges Aussehen bekam und das besterhaltene Renaissanceschloss des Nordens ist.

Zunächst führt mich ein endlos gerader Radweg weiter Richtung Süden. Später kann ich wieder ruhigen Straßen folgen, der Autoverkehr konzentriert sich zum Glück auf die oft nahe Europastraße. Weite Feldlandschaften säumen nun oft die Wege, sobald es ein paar Kilometer ins Landesinnere führt.
Neben vielen Pferdekoppeln sehe und höre ich auch immer mehr Weidevieh. Kühe, oft auch Schafe und auch einmal Schweine, die auf einem großen Acker viel Auslauf haben. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich das zuletzt gesehen habe.
Eine Herde Schafe auf einer idyllischen Wiese mit den allgegenwärtigen Steinen hat es mir besonders angetan. Schon von weitem höre ich sie rufen, sie geben ein wahres Konzert und kommen zu mir, als ich für ein paar Fotos stehen bleibe. Tristan würde sich so freuen, liebt er Schafe doch so sehr. Schade, dass er diese Herde nicht sieht. Schnell nehme ich ein kurzes Konzert-Video für ihn auf.

Am Nachmittag wird mein Schatten immer länger. Solange er mein treuer Begleiter ist, scheint auch die Sonne. Treu sind auch die Wildgänse, sie sind nun wirklich tägliche Begleiter, nachdem das Nahrungsangebot für sie mit den Frosttemperaturen zur Neige geht.
Tatsächlich werden die Temperaturen am Nachmittag sehr viel angenehmer als erwartet. Ich erreiche Kristianopel bei in der Sonne angenehmen 8,4 ° Celsius. Der kleine Ort hat gerade einmal 88 Einwohner, wurde mir aber schon von Magnus, dem tollen Hotelier aus Västervik, ans Herz gelegt. Da hat er nicht zuviel versprochen.
Umkämpftes Kristianopel
Der Ort war im 17. Jahrhundert für Dänemark strategisch ausgesprochen wichtig im Grenzgebiet zu Schweden. Der Ort wechselte im Laufe der Jahre immer wieder zwischen Dänemark und Schweden den Besitz. Schweden ließ schließlich die Befestigungen fast restlos abtragen, da es den Ort als Gefahr ansah. Die lange Stadtmauer und die erhaltene Bastion zeugen von der zentralen Bedeutung. Ein kleiner Ort mit einer magischen Anziehungskraft. Lest euch auf Wikipedia einmal die Historie Kristianopels durch, sehr interessant.
Und als wäre dieser Ort noch nicht schön genug, gibt es auch noch ein Café direkt am Wasser. Es ist halb vier, und es hat zumindest noch 30 Minuten offen. Die Öffnungszeiten schwedischer Cafés sind etwas gewöhnungsbedürftig. Cappucino gibt’s keinen mehr, die Maschine ist schon sauber, aber wie in Schweden üblich Filterkaffee aus der Thermoskanne zum selber Einschenken und leckeren Kuchen. Die 20 Minuten Ruhepause auf der sonnigen Terrasse mit einem kurzen Gespräch mit interessierten Schweden zum ‚Woher und Wohin‘ meiner Tour tuen gut.
Mit dem Abstecher zur Öland Brücke am Morgen und dem Kaffee am Nachmittag habe ich es mir natürlich gut gehen lassen. Die kommenden noch knapp 30 Kilometer bis Karlskrona ziehen sich nun etwas, und ich habe schon lange drauf gewartet: ‚Zäng‘, Speichenbruch Nummer vier. Ich gehe nun deutlich entspannter damit um, entferne die alte Speiche und setze meine Tour zum Zielort vorsichtig fort. Wie sagte der Reiseradler, den ich in Finnland zuletzt getroffen hatte: „Ahh, it’s normal!“
Als ich nach Karlskrona komme, geht gerade die Sonne unter. Der Marinehafen und einige ausgewählte Gebäude in der Stadt mit 36.000 Einwohnern gehören zum UNESCO-Welterbe. Die Stadt hat eine schöne Größe, wunderschöne Gebäude und gemütliche Gastronomie. Eine perfekte Stadt für einen Tag Pause bei Regen, aber es regnet morgen nicht.
Ich gehe zu einem günstigen Kurs eine Pizza Quattro Formaggi essen und mir gelingen abschließend noch einige Nachtfotos am zentralen Stortorget-Platz.

Am Ende ist es so spät, dass mir nach Aufbereitung der Fotos kurz nach Mitternacht die Augen zufallen. Ich habe kein Wort geschrieben, der Blog muss einen Tag warten. Morgen kommen wieder über 100 Kilometer bis Sölvesborg – und ich muss am Morgen noch die Speiche austauschen. Es verspricht ein anstrengender Tag zu werden.
4 Kommentare
DERSCHULLE hat sowas von recht. Nach den Bildern muss ich Dir einfach mal wieder ein riesen Kompliment machen. Du bist nicht nur ein guter Erzähler und Schreiber, ich hänge Dir förmlich jeden Abend an den Lippen bzw. an den Fungern ;-), sondern auch ein fantastischer Fotograf. Die besonderen Momente, die Du mit Deiner Kamera und Deinem guten Auge einfängt, sind für mich wunderschön und für Dich sicherlich unvergessliche Momente, auch ohne Fotos.
Geniess die letzten (Kilo-) Meter Deiner Tour … LG Patrick
P.S. Das Lesen Deiner Tagesberichte wird mir fehlen. Konnte ich doch so auch ein Stück an Deinem Abentuer teilhaben. Vielen Dank dafür.
Lieber Patrick,
danke, das rührt mich, dass es Dir so gut gefällt. Mitunter ist es sehr zeitaufwendig, und manchmal hänge ich etwas hinterher, aber ich bin oft selbst überrascht, wie gut die Fotos sind und erfreue mich jedes mal selbst daran, was ich gesehen habe.
Tja, was werde ich nach der Tour machen, finde ich Material zum Fortsetzen? Sicherlich erstmal eher unter dem Punkt ‚Radreisegedanken‘ und ‚Technik‘. Und ist nach der Tour vor der Tour? Darüber kann ich jetzt noch nicht nachdenken. So lange Zeit fast jeden Tag bis ans Limit zu gehen braucht erst einmal Regeneration. Da ist es schon, das erste Thema für’Radreisegedanken‘!
Ich freue mich darauf, euch bald wiederzusehen. Mehr denn je nach so einer langen Reise. Grüße an alle!
Radreiseglückliche Grüße aus Kopenhagen
Bernd
Lieber Bernd, was machst Du teilweise für phänomenale Fotos! Dein Rad vor der untergehenden Sonne könnte eines meiner Lieblingsbilder werden…? Da Du anscheinend gutes Equipment dabei hast, genieße einfach die aufziehenden Vorboten des Winters. Immer mal ein warmes Käffchen, dann passt das schon LG
Lieber Schulle,
wir beiden wissen nur zu gut, wie es ist: Nach Regen kommt Sonnenschein. Nach Kälte ein warmer Kaffee. Nicht immer sofort. Aber er schmeckt dann ungemein gut!
Danke für’s Kompliment! Bekommst es hochaufgelöst :).
Radreiseglückliche Grüße aus Kopenhagen
Bernd