Gastbeitrag Von ‚DerSchulle‘
Lieber Bernd,
zunächst einmal vielen Dank, dass Du mir die Möglichkeit einräumst, mich mit einem Gastbeitrag auf Deinem wundervollen „RadReiseGlück“ zu verewigen.
Nach einigem Überlegen steht nun auch endlich fest, worüber ich schreiben will. Das war in der Tat keine ganz einfache Geburt, da es schon einen Unterschied macht, ob man etwas auf seinem eigenen oder auf einem fremden Blog veröffentlicht.
Werfen wir zunächst einmal einen kurzen Blick auf Deinen mittlerweile zurückgelegten Weg im Rahmen des Baltic Sea Project.
Mit ein paar ganz einfachen Worten ausgedrückt: Unglaublich geil und krass, mein Lieber! ?
Ich erinnere mich noch sehr gut an unsere 2-tägige Wanderung Anfang Juni dieses Jahres. Wir sprachen lange über die laufenden Planungen Deines anstehenden Abenteuers auf dem EuroVelo 10 und spielten gedanklich einige mögliche Szenarien durch. Natürlich fachsimpelten wir auch ausgiebig über Dein Equipment – man liebt nun einmal seine Ausrüstung…
Letztlich war Anfang Juni aber noch jede Deiner Überlegungen nichts als graue Theorie und Dein Weg um die Ostsee wollte erst noch mit Leben gefüllt werden. Nun – einige Monate später – endet Dein Abenteuer. Ich bin froh, dass Du wohlbehalten zurückgekommen bist und immer Herr der jeweiligen Lage warst. Den wahnsinnig großen und wertvollen Schatz an Eindrücken, Einsichten und Erfahrungen Deiner Reise, darfst Du Dir daheim in Jülich erst einmal in Ruhe anschauen. Das wird sicherlich äußerst spannend!
Sehr spannend und besonders erwähnenswert finde ich übrigens auch den Aspekt Deiner Wegfindung. Bekanntlich hat man hier nicht selten die Qual der Wahl im Leben.
Wie entstand überhaupt die Idee, mehrere Monate durchs In- und Ausland zu radeln und wie kamst Du schließlich ins Handeln?
Spurensuche
Ich erzählte bereits einigen Menschen aus meinem engeren Umfeld von Dir und Deinem RadReiseGlück. Viele dieser Menschen befinden sich in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen und bedienen familiäre, wie auch finanzielle Verpflichtungen – also ganz normale „Mainstream-Existenzen“.
Wenn ich Deine Geschichte erzähle, habe ich meist sehr interessierte Zuhörer. Beim Blick in ihre Augen erkenne ich oftmals eine aufsteigende Sehnsucht, die es aber letztlich nicht vollständig an die Oberfläche ihres Bewusstseins schafft.
Erstaunlich oft komme ich irgendwann an einen Punkt in diesen Gesprächen, wo sich der weitere Ablauf stark gleicht. In etwa so:
„Wie kann der sich denn Monate für so etwas frei nehmen?“
Ich: „Bernd hat seinen Job gekündigt.“
„Aha – hat der denn keine Familie oder finanziellen Verpflichtungen?“
Ich: „Doch, hat er. Drei Kinder, eine Frau, ein Haus…“
„Oh – und was sagen die dazu?“
Ich: „Man kann für alles im Leben eine Lösung finden, wenn man wirklich will, oder?“
Letztlich findet dieses Thema dann häufig folgenden Schluss:
„Naja, ist ja schön, dass der so etwas irgendwie machen kann. Für mich wäre das auf jeden Fall nicht möglich, WEIL…“
Ich (denkend): „Vorsicht mein Lieber/meine Liebe! Deine „guten“ Gründe können auch schnell Deine größten „Verhinderer“ von Glück und Zufriedenheit im Leben werden.“
Freiheit der Wegwahl
Bernd, Du bist in meinen Augen ein gutes Beispiel dafür, dass es im Leben immer wieder lohnenswert ist, sich beizeiten den Weg genau anzuschauen, auf welchem man aktuell unterwegs ist.
Rüdiger Dahlke beschrieb es mal sehr schön, indem er sinngemäß meinte, dass unser menschliches Bestreben viel mehr am ENT-wickeln unseres wahren Wesens orientiert sein sollte. Wir neigen allerdings (vor allem in unserer zweiten Lebenshälfte) oftmals dazu, uns immer weiter zu VER-wickeln.
Getrieben vom ängstlichen Grundempfinden „Hoffentlich passiert nichts in meinem Leben!“ kriegen es heute erstaunlich viele Menschen auch tatsächlich hin, dass nichts in ihrem Leben passiert. Allerdings hat das teils verheerende Folgen für den Einzelnen, denn der Horror auf dem Totenbett ist nun einmal das nicht gelebte, eigene Leben.
Über dieses Thema gibt es auch ein sehr interessantes Buch von Bronnie Ware, einer australischen Palliativpflegerin. Sie begleitete todkranke Menschen in den letzten Wochen ihres Lebens. Immer wenn sie Patientinnen und Patienten fragte, was sie in ihrem Leben bereuten oder lieber anders gemacht hätten, kamen meist die gleichen Themen zur Sprache.
- „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mir selbst treu zu bleiben, statt so zu leben, wie andere es von mir erwarteten.“
Nichts bereuten die Sterbenden häufiger und mehr, als dass sie nicht das Leben geführt haben, das sie eigentlich hätten führen wollen. Es ist heute ja schon fast ein Volkssport, sich ständig nur am Außen zu orientieren, dabei wächst doch alles in der Natur von innen nach außen.
Steve Jobs brachte es damals bereits treffend auf den Punkt:
„Deine Zeit hier ist begrenzt. Und deshalb solltest Du sie nicht darauf verschwenden, das Leben eines anderen zu leben. Lass Dich nicht von einem Dogma festhalten, lass nicht den Lärm anderer Meinungen Deine innere Stimme verstummen und vor allem habe den Mut, Deinem Herzen und Deiner Intuition zu folgen.“
- „Ich wünschte, ich hätte nicht so viel gearbeitet.“
Willkommen im Hamsterrad der kapitalistischen Leistungsgesellschaft. In Zeiten des zweiten Maschinenzeitalters, der digitalen Revolution und Industrie 4.0 führt meiner Meinung nach in naher Zukunft kein Weg mehr um das bedingungslose oder zumindest menschenwürdige Grundeinkommen herum. Es wird wirklich Zeit, dass all die klugen Köpfe unserer Tage zusammenfinden, sich gemeinsam intensive Gedanken zu diesem Thema machen und vor allem gangbare Lösungen entwickeln.
Nicht Arbeitslosigkeit wäre das Problem der aktuell noch arbeitenden Menschen, sondern Geldlosigkeit. Wir Menschen kämen sicherlich wunderbar damit klar, weniger Lebenszeit mit teils sinnfreien Erwerbstätigkeiten zu verschwenden. Viele, viele Menschen wären in ihrem Leben auf einmal erfüllter und glücklicher unterwegs, da sie – durch das Grundeinkommen grundabgesichert – sinnstiftenderen Dingen Raum geben könnten. Solche sinnstiftenden Dinge zahlen nicht selten auch auf die Steigerung des gesellschaftlichen Allgemeinwohles ein. Durch meine humanistisch eingefärbte Brille sehe ich hierin letztlich den übergeordneten Sinn der Schaffung von Maschinen.
Hyper-Kapitalismus vs Mensch-Sein – dieses Problem gilt es durch bahnbrechende und vielleicht auch radikale Veränderungen in unseren weltweiten Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen zu lösen. Das nenne ich mal eine Herausforderung! Das Grundeinkommen ist sicherlich ein guter Ansatz…
Und wo wir bereits bei Problemen, deren Lösungen und riesigen Herausforderungen sind:
Es fühlt sich wunderbar an, dass ausgerechnet unsere Jugend nun das Thema „Klimawandel“ mit neuem Schwung versehen hat. Natürlich hält die Jugend ihrer Elterngeneration – also auch mir – einen schonungslosen Spiegel vor und klagt uns lautstark an. Das ist aber auch ihr gutes Recht. Gerade meine Generation, die heute um die 50 ist, nahm zum Großteil (mich eingeschlossen) viel zu lange völlig unengagiert die Rolle des stillen, teils sorglosen Beobachters ein.
Jetzt – wo unsere Kinder aufbegehren und sich Gehör in Sachen „Future“ verschaffen – erhalten wir Eltern die wunderbare Chance der Wiedergutmachung. Wir müssen nur aus unserer kuscheligen Wabe herauskriechen und wahrnehmen, dass der Winterschlaf schon lange vorbei ist. Einmal kurz recken und strecken und dann raus mit uns! Wir stellen uns neben unsere Kinder und werden endlich mal dort aktiv, wo nicht nur das ICH zählt, sondern das WIR!
- „Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen.“
Aus Angst vor Unfrieden in ihren Beziehungen zu anderen Menschen, unterdrücken viele Menschen jahrzehntelang ihre innersten Gefühle und schnüren diese fest in sich ein. Als „Belohnung“ macht sich Verbitterung und Groll in ihnen breit, ein optimaler Nährboden für Krankheiten. Kurz vor dem Tod realisieren viele Menschen, dass sie selbst nahestehenden Menschen oftmals nicht ihre wahren Gefühle gezeigt haben.
- „Ich wünschte, ich hätte den Kontakt zu meinen Freunden gehalten.“
Oftmals haben die befragten Menschen erst in ihren letzten Lebenswochen den wahren Wert von alten Freunden erkannt. Man war mit seinem eigenen Leben so beschäftigt, dass man im Laufe der Jahre kostbare Freundschaften verlor. Viele bereuten zutiefst, dass sie den Freunden nicht die Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet haben, die sie verdient hätten. Jeder, der stirbt, vermisst seine wahren Freunde.
Ein wahrer Freund ist der, der bleibt, wenn alle anderen wegbleiben und dort weiter annimmt und liebt, wo andere verurteilen.
Von einem wahren Freund wünschst Du Dir, dass er/sie Deine Hände in den letzten Stunden Deines Lebens hält.
Man kann im Leben somit vermutlich nicht viele wahre Freunde haben und sollte mit diesem Begriff auch nicht inflationär, sondern sehr bewusst und achtsam umgehen.
- „Ich wünschte, ich hätte mir mehr Freude gegönnt.“
Viele Menschen erkennen erst am Sterbebett, dass sie in ihrem Leben die Wahl hatten, glücklich oder unzufrieden zu sein. Glücklich und zufrieden zu sein ist eine bewusste Entscheidung, die jeder Mensch zu jeder Zeit treffen kann und auch sollte. Es besteht die große Gefahr, dass Du Dein eigenes Leben alten Mustern und Gewohnheiten unterwirfst, was nicht unbedingt zu Deinem persönlichen Lebensglück beiträgt. Daher nutze Dein Lebens-Recht glücklich zu sein, zu lachen und Dich auf die schönen Dinge zu konzentrieren. Die unschönen Dinge kommen von selbst in Dein Leben und wollen dann natürlich auch angenommen werden…
Es ist sicherlich ein glücklicheres und erfüllteres Leben, wenn ich mich als Optimist letztlich in meinen Idealen täusche, als wenn ich als Pessimist in meiner Meinung bestätigt werde.
Um im eigenen Leben wirklich neue Wege einzuschlagen und diese ENTwicklung hinzubekommen, bleibt meist nur der kühne Sprung vom sich heutzutage irrsinnig schnell drehenden „Karussell des Alltags“. Eine bewusste Auszeit nehmen, um sich ungeschönt und ehrlich das anzuschauen, was ist.
Innehalten, in sich hineinhorchen und ohne die lauten und ablenkenden Alltagsgeräusche mal der inneren Stimme Raum geben, sie wahrnehmen, ihr genau zuhören und dann ins Handeln kommen.
Lieber Bernd, genau das hast Du vor einiger Zeit gemacht – CHAPEAU! Und Du schaust nicht unglücklich aus…?
Dein Baltic Sea Project ist ja nur eines der schönen Ergebnisse, die sich aus Deinem Ziehen der Reißleine ergaben.
Du bist nun in der wirklich beneidenswerten Situation, Deinen Blick mal ganz entspannt umherschweifen zu lassen, um nach den Dingen und Möglichkeiten Ausschau zu halten, die Dir für die Zukunft ein erhöhtes Maß an Sinn stiften könnten. Du wirst diese Dinge und Möglichkeiten finden, erkennen und die richtigen Entscheidungen treffen, da bin ich mir ganz sicher.
Nature & Social
Vor langer Zeit hattest Du ja bereits die Notwendigkeit erkannt, dass auf unsere globalen und auch nationalen Klima- und Umweltprobleme aufmerksam gemacht werden muss und nur ein Handeln die Lösung bringen kann. Dein persönliches Engagement bei Greenpeace war die logische Konsequenz dieser Erkenntnis. Deine Liebe zur Natur und zur wunderbaren Tier- und Pflanzenwelt ist in vielen Deiner Blogbeiträge förmlich spürbar. Einfach nur toll…
Und dann gibt es ja auch noch Deine Spendensammlung für die Sri-Lanka-Hilfe! Hierüber verliere ich nun nicht viele Worte, denn alleine die Tatsache, dass Du Dein persönliches RadReiseGlück in den Dienst einer solchen guten Sache stellst, spricht Bände.
Du bist sicherlich ein inspirierendes Beispiel dafür, was möglich ist, wenn man das Herz am rechten Fleck trägt, mutige Entscheidungen im Leben trifft und den Blick immer wieder auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben wirft.
Alles hat ein Ende
Es hat mir unwahrscheinlich viel Freude bereitet, Dich zumindest virtuell die letzten knapp 4 Monate rund um die Ostsee zu begleiten.
Dabei entdeckte ich allerdings noch ein Talent an Dir, welches mir bis dato nicht bekannt war. Du hast wirklich ein Händchen für wunderschöne Fotomotive und kannst Stimmungen sehr gut in Deinen Bildern festhalten. Du alter Tausendsassa! ?
Hier noch eines meines Lieblingsbilder Deiner Reise:
Es gibt noch so viel zu bereden und ich freue mich bereits wahnsinnig auf unser Wiedersehen, das sicherlich nicht allzu lange auf sich warten lässt.
Ganz liebe Grüße vom Niederrhein,
Der Schulle
3 Kommentare
Wahnsinn, was ihr euch da vorgenommen habt. Hut ab. Ich bin schon stolz, wenn ich eine Tagestour in Südtirol schaffe 😉 Nebenbei, ich habe mir dafür auch eine neue Fahrradtasche besorgt. Vielleicht interessiert es euch. Sie ist aus recyceltem PVC, also nachhaltig und extrem langlebig. Das wäre genau das Richtige für euch. Wer sich dafür interessiert, sollte hier mal nachlesen was es damit auf sich hat https://www.vinyl-erleben.de/vinyl-sport-freizeit/erste-wahl-auch-beim-zweiten-mal/
Lieber Bernd,
104 Tage sportlich aktiv, 104 Tage sich immer wieder motivieren, 104 Tage tolle Erlebnisse, 104 Tage auch Begegnungen mit netten Menschen, all das hinterlässt Spuren.
Sicher wirst du jetzt deine Tour noch einmal in Ruhe Revue passieren lassen und über das ein oder andere Erlebte nachdenken und in dir bewegen. Wir hoffen, du wirst lange von dieser tollen Tour zehren. Das, was du erlebt hast, kann dir keiner mehr nehmen.
Wir ziehen den Hut vor deiner Leistung! ??Super gemacht! Und danken dir für deine tollen Berichte und Fotos über die ganze Zeit hinweg.
Aber all dies ist nicht möglich, wenn nicht auch die Familie dahinter steht. Susanne und den Kindern gebührt ebenfalls ein großes Lob!!!!?
Beruflich wird sich bei dir sicher auch wieder etwas Tolles entwickeln. Jetzt genieße erst einmal deine Zeit in der Familie. Vielleicht findet sich sogar die Zeit wieder neue Pläne zu schmieden?
Dürfen wir auch hier noch von dir einen persönlichen Bericht zum letzten Tag erwarten?
Alles Gute, Martina mit Familie
Liebe Martina,
habt Dank für den lieben Komentar! Mit Sicherheit werde ich diese Tour niemals vergessen, sie hat mich oft sehr bewegt und ihre Spuren hinterlassen. Und Du hast vollkommen Recht: Ohne meine wirklich tolle Familie wäre es nicht gegangen. Jeder hatte seinen Part. Und ich bin dankbar, dass alles so gut geklappt hat, und so viel Verständnis füreinander da ist. Der Bericht vom letzten Tag ist live, ich habe etwas Zeit gebraucht. Es war, als ob ich lange Zeit auf voller Power gelaufen bin, und dann erstmal runterkommen musste. Auspacken & Ankommen.
Ich bin nun selbst gespannt, wie es weitergeht. Was wird sich beruflich entwickeln? Gibt es eine nächste Tour? Lauter Unbekannte auf den Seiten in meinem weißen Buch. Aber so war auch die Tour – nur die Richtung war klar: Immer nach vorne, und ab und zu mal stehen bleiben!
Herzliche Grüße an Deine Familie!
Bernd