Ostsee-Umrundung | gesamt 1.923 km
Rīga (LVA) | Tag 25 | heute 0 km
Tristan und ich sind zu Frühstück und Stadtführung (Free walking Tour) verabredet. Das wäre ein guter Start in den Tag, um nochmal über die Tour zu sprechen. Leider schafft er es nicht zeitig und sagt, dass er nicht mit will. So gehe ich alleine los und sehe mir die interessante Stadt an. Im Vergleich zur Bustour in Danzig erlebe ich eine enthusiastische Führung von Agnes, die die gesamte Historie und den Wechsel zwischen den vielen Mächten bis zur Unabhängigkeit seit 1991 gut erklärt.
Rīga – Hauptstadt Lettlands
Die alte Hansestadt Rīga ist sowohl die Hauptstadt Lettlands als auch die größte Stadt des Baltikums. Haben wir sonst auf der Tour Lettland als Wald und Landstraße kennengelernt, so ist hier wirtschaftliches und kulturelles Zentrum. Die Synagoge im Jugendstil von 1905 auf dem Foto wurde von den Nazis nicht niedergebrannt wegen der Gefahr, dass die gesamte Altstadt abbrennt. So ist sie auch heute noch erhalten. Rīga ist bekannt für seine schönen und gut erhaltenen Jugendstilgebäude in der Altstadt und der Neustadt.
Was aber machen die Bremer Stadtmusikanten hier? Rīga ist Partnerstadt von Bremen. So blicken sie durch den während der Sowjetzeit errichteten „Eisernen Vorhang“ auf die errungene Freiheit der westlichen Welt. Anfassen bringt Glück, und so sind die Schnauzen der Tiere ganz blank abgewetzt.
Tristan möchte nicht mehr reden
Ich biete Tristan an zu sprechen, aber er möchte nicht. Nun muss er die Heimreise organisieren, was mit Rad und Gepäck über 4 Länder nicht so einfach ist. Es wird am Ende ein Flug sein, der ihn heimbringt.
Aber viel trauriger ist, dass Tristan geht. Wir kamen so gut klar, und dass man sich mal missversteht ist die Natur der Kommunikation. Es gehört wohl wieder zur Kategorie der Dinge, die ich nicht verstehen aber akzeptieren muss. Es ist wie damals auf Vlieland, als Tristan die Tour abbrach. Nur sind das Baltic Sea Projekt und die Folgen seines Ausstiegs viel größer.
Natürlich hätte ich die Tour ohne Tristan bereits im Mai begonnen, und wäre nicht in die Zeitbedrängnis gekommen, erst im Oktober durch Schweden zurückzureisen mit der Gefahr von Frost. Und ich hätte die Reise erst im kommenden Jahr gemacht, nach Ende meiner Pflegezeit für meinen Schwiegervater. Es war alles auf Tristans Schulabschluss und Abifeier abgestimmt. Wir sind nur 23 Tage zusammen unterwegs gewesen. Trotzdem bin ich froh über jeden einzelnen Kilometer, den wir zusammen gefahren sind, lieber Tristan.
Ein letzter Versuch
Nachmittags führen wir ein letztes Gespräch, ich versuche nochmal alles anzusprechen und Lösungen zu finden, aber er bleibt dabei. So gehen wir zurück ins Hostel und ich packe die große Übernachtungstasche mit Zelt und die Vorratstasche mit Kocher und Vorräten zusammen. Beide waren schon supervoll und ich muss nun ganz schön stopfen und auf die restlichen schon vollen Taschen verteilen. Bislang hatte einer die Zelttasche, der andere die volle Vorratstasche. Ich weiß noch nicht wie es gehen soll, denn natürlich hätte ich ohne Tristan alles für eine Person geplant. Also Zelt & Kochgeschirr kleiner und leichter. Jetzt muss ich vieles für zwei auf den kommenden 8.000 Kilometern mitschleppen, obwohl ich alleine sein werde.
Währenddessen versucht Tristan seine Sachen auf eine Tasche zu komprimieren für den Rückflug. Als ich die Kreditkartendaten für den Rückflug eingebe, habe ich einen dicken Kloß im Hals. Kurz darauf muss ich raus, ich halte es im Zimmer nicht mehr aus. Ich gehe ins Crumble Café, und suche Trost bei einem Cappuccino mit Blueberry Crumble Cake. Dabei schreibe ich diese Zeilen. Seltsam, plötzlich allein im Café zu sitzen. Eine neue Erfahrung, mit der ich mich erst noch arrangieren muss.
Der letzte gemeinsame Tour-Abend
Abends gehen wir ein letztes Mal etwas essen. Die Stimmung ist trübe. Dann ist auch noch meine geliebte Windstopper Jacke weg. Ich suche sie an den Orten, wo ich heute war, eine letzte Chance gibt es morgen früh in einem Café.
Tristans Flug geht um 16:00 Uhr, ich werde Rīga früh verlassen, um mir den Wind um die Ohren wehen zu lassen und auf andere Gedanken zu kommen. Guten Flug, lieber Tristan! Du wirst mir sehr fehlen. Schade, dass Du dieses wunderbare Abenteuer abgebrochen hast. Ich bin unsagbar traurig.
15 Kommentare
Ich lese diesen Beitrag anno 2023 und denke, Moment mal, wann hat der die Reise nochmal gemacht? 2019. Ich wette, der ist jetzt verdammt froh, dass er die Tour wegen seinem Sohn NICHT ein Jahr später gemacht hat!
Das müssen die Momente sein, an die man an das Schicksal glaubt.
Ich bereite mich hier gerade auf meine Ostseetour durchs Baltikum vor (Dänemark bis Polen sind schon gefahren) und kann leider nicht mehr durch Russland. Ich wünschte, ich hätte 2019 auch schon so viel wie möglich abgefahren, ehe die Welt bekloppt wurde. Aber vielleicht gibt es dafür ja auch einen guten Grund. Der noch auf sich warten lässt.
Ganz vergessen zu schreiben: Vielen Dank für den Blog und besonders die Tipps. Ich notiere sie mir fleißig und hoffe, dass sie alle die Pandemie überlebt haben.
Hallo Flussradler,
danke für deinen netten Kommentar! Mit Corona wäre das ganze tatsächlich gar nicht möglich gewesen.Und kaum war Corona richtig vorbei, war Russland bis auf weiteres obsolet.
Tatsächlich hat wohl alles seinen Grund. Du lernst so manche tollen Menschen nur kennen, weil du vielleicht an anderer Stelle gestolpert bist. Das Baltikum wird dir viel Freude bereiten, es hat uns erst 2023 wieder dorthin gezogen. Viele Tipps sind nicht aktuell, manche haben wie du richtig vermutest, die Pandemie nicht überlebt. Bald wird es die Ostseeumrung als Buch geben, inkl. überarbeiteter Tipps und Retroperspektiven. Interessiert? Einfach den Newsletter abonnieren, dann kannst du es nicht verpassen 🙂
Radreiseglückliche Grüße
Bernd
Hallo Bernd,
das war sicher kein leichter Tag für euch beide. Freut euch über die Zeit, die ihr zusammen verbracht habt, und über die gemeinsamen Erlebnisse.
Wir hoffen Tristan ist wieder gut zu Hause angekommen.
Lass dich nicht unterkriegen. Und außerdem: du fährst nicht alleine!!! Wir fahren alle in Gedanken mit und erwarten jeden Tag mit Spannung deinen Bericht!
Ein Reitlehrer meiner Freundin sagte im Reitunterricht immer: „ Gleichmäßig, taktmäßig, weiter!“
In diesem Sinne dir weiterhin gute Reise!
Liebe Martina,
das ist ein gutes Motto, danke für Deinen Kommentar. Gestern Morgen war ich noch mächtig aus dem Takt, am Nachmittag habe ich dann einen Rhythmus gefunden und am Abend die ? km Überschritten. Es gab eine gute und ruhige Nacht und ein tolles Frühstück für kleines Geld. Ein guter Neustart.
Radreiseglückliche Grüße aus Latvia
Bernd
Lieber Bernd,
ja, das ist sehr traurig, dass Tristan ausgestiegen ist.
Aber wenn es dir gelingt, dich auf den Augenblick zu konzentrieren, gebe ich Marco recht: alleine Reisen führt zu mehr und intensiveren Erlebnissen und man lernt mehr Menschen kennen. Es ist jetzt Deine Reise. Du kannst jetzt noch mehr alles so machen, wie du selbst willst. Ich hoffe sehr, dass du umschalten und das genießen kannst.
Gute Fahrt und weiter alles Gute
Karl
Lieber Karl,
absolut, ich vermisse ihn sehr, bin aber auch auf die neu gewonnene Zeit mit mir und meinem Selbst gespannt!
Danke für Deinen Kommentar!
Radreiseglückliche Grüße
Bernd
hallo,
ich verfolge ein paar tage deinen blog.. Es ist natürlich schade das dein Reisepartner nach Hause möchte. Aber alleine Reisen hat sehr viele Vorteile. Ich mache auch oft lange Radtouren mit Zelt etc. Und am liebsten muss ich doch sagen fahre ich alleine. Man erlebt einfach mehr … du fährst dein eigen Tempo — deine Pausen wann und wie lange du möchtest etc.. Versuche das beste draus zu machen. das überschuessige Gepäck schick am besten mit der Post weg. Ansonsten gut gemachter BLOG .. gut geschrieben , nette bilder — The Show must go on !!
Gruß Marco
Lieber Marco,
hab Dank für Deinen Kommentar! Es ist immer wieder besonders, wenn nicht nur Friends & Family, sondern auch andere in den Blog einsteigen! Ihr alle seid mir eine große Motivation.
Ja, ich finde jetzt meinen eigenen Rhythmus und bin auf mich selbst gespannt. Wie gehe ich mit mir und meiner neu gewonnenen Ruhe um? Es ist spannend, ich lasse mich mal drauf ein, lasse es mir gut gehen und setze meine Fahrt heute nach Estland fort!
Stay tuned!
Radreiseglückliche Grüße
Bernd
Lieber Bernd,
das ist ja superschade! ich verfolge deinen Blog die ganze Zeit und fand es toll, virtuell bei eurer Tour dabei sein zu können – nun wird es DEINE Tour. Ich hoffe, du kannst die Zeit trotzdem genießen und etwas draus machen.
Und ob nun drei Monate oder drei Wochen, ihr zwei habt auf jeden Fall tolle Erlebnisse geteilt, das kann euch keiner mehr nehmen!
Dir wünsche ich jetzt einen guten Neustart und noch viele schöne Begegnungen!
Liebe Grüße
Martine
Martine
Liebe Martine,
Du hast Recht, genau so ist es. Es war eine tolle Zeit mit Tristan, nicht anders sehe ich es. Und trotzdem tut es weh, gerade weil es so toll war. Wie wird es jetzt? Spannend, die Seiten des Buchs sind noch weiß, es wird gerade geschrieben.
Radreiseglückliche Grüße
Bernd
Hallo Bernd, wünsche Dir Alles Gute! Gehe davon aus, dass Du weitermachst. Das ist jetzt auch nicht die Zeit aufzugeben! Du brauchst aber auch niemand etwas zu beweisen, mach das solange es Dir Spaß macht oder solange es Dir noch etwas gibt.
Wir drücken die Daumen! ✌
Lieber Lorant,
vielen Dank für die Motivation und den netten Kommentar. Gleich geht’s weiter nach Estland!
‚Nur die Sache ist verloren, die man aufgibt.‘
Radreiseglückliche Grüße
Bernd
Hallo in den Norden,
das sind ja ungeplante Veränderungen … ich hoffe, ihr beide findet eine gute Lösung, bei der ihr euch beide auch nachher wohl fühlt .. bzw. ich wünsche euch, dass die gefundene Lösung für euch beide dann auch stimmig ist.
Ich glaube, über die Bremer Stadtmusikanten hätte ich mich extrem gewundert. Habe sie zwar auch noch nie bei sich „zu Hause“ gesehen, aber dort hätte ich sie dann nicht erwartet. .. Bringt es Glück die Schnauezn zu streicheln? Oder wird man reich? Oder darf man was wünschen???
Trotz allem: weiterhin gute Reise!
.. und danke für die Idee mit dem Tageweise-Sponsoring, ich hatte noch nach einer guten Idee gesucht, wie ich mal was spenden kann ….
Liebe Ulla,
danke nochmal für mentale und finanzielle Unterstützung des Projekts!
Tja, die Bremer Stadtmusikanten…
Es soll Glück bringen, und ganz besonders wenn man alle streichelt, insbesondere den Hahn. So sieht man die Menschen immer springen! Ich musste nicht ganz so hoch mit meinen 1,91m!
Da ich alle intensiv gestreichelt habe, sollte mir das Glück hold sein. Heute Nacht kam auch schon eine Katze zum Zelt…
Reich werde ich auf der Tour auch – zumindest an Erfahrungen im doppelten Sinne!
Radreiseglückliche Grüße
Bernd