Ostsee-Umrundung | gesamt 6.672 km
Västervik (SWE) – Oskarshamn (SWE) | Tag 87 | heute 94 km
Ich habe top geschlafen. Ein schönes Zimmer in einem ruhigen Hotel, wunderbar.
Tipp: Das Hotell Park ist ein Glücksgriff! Zentral gelegen in der schönen Stadt Västervik, aber doch ruhig. Es bietet ein bisschen ein ‚Zuhause-Gefühl‘, man kann sich hier sehr wohl fühlen. Das Frühstücksbuffet ist die Wucht. Klein, aber fein, fast alles bio-Qualität oder lokal. Dazu kommt, dass es inhabergeführt und wirklich persönlich ist.
Das Brot ist schwierig in bio zu bekommen, sagt Magnus, der Hotelier des Hotel Park. Er hat heute Morgen ein offenes Ohr für meine Tour und Erfahrungen. Und offeriert mir, dass ich mir ein Lunchpaket vom Buffet zusammenstellen darf. Mein erstes Bio Lunchpaket auf Tour! In den baltischen Staaten und Russland war Bio fast unmöglich zu bekommen, seit Finnland ist es wieder mehr ein Thema für die Menschen. Wir reden über unsere Umwelt, über Musik während des Radfahrens und Laufens. Über Greta Thunberg, deren Spruch in der Lobby hängt, und meinen Besuch bei der FFF Demo in Stockholm.
Seit 7 Jahren haben er und seine Frau das Hotel, jeden Raum haben sie restauriert. Wir reden auch darüber, wie wichtig es ist, sich immer wieder bewusst bewusst zu machen, was man an dem hat, was man hat. Ich erzähle von dem Norwegischen Camper, dem ich begegnet bin, und den Polarlichtern, die dieser nicht mehr so wertschätzen kann, weil er sie so oft sieht. Und übertrage es auf Magnus Hotel und auf meine Tour.
Magnus schätzt sein tolles Hotel und was er macht sehr, das merkt man sofort. Aber irgendwann kann fast alles zum Alltag werden, man kann blind werden für das eigene Glück. Auch ich mache es mir jeden Tag bewusst, dass meine Tour, meine Bilder und Erlebnisse alles andere als selbstverständlich sind. Denkt einmal nach, erdet euch, und ihr werdet lächelnd feststellen, dass ihr Vieles habt, an dem ihr euch erfreuen könnt. Und sei es nur die Tasse Kaffee in der Hand beim Lesen.
Gute Gespräche also heute Morgen. Magnus gibt mir noch Tipps für Stadt und Weg, und so treibt es mich zunächst zu Unos Turm bei Västerviks Museum, von dem man einen tollen Weitblick über die Stadt und das Archipelago hat.
Unos Turm
Der Turm wurde übrigens durch Uno Malmberg testamentarisch ermöglicht, das Geld reichte aber nicht für einen Fahrstuhl und der Turm war 3 Meter zu niedrig, um bis zum Meer zu sehen, wie von Uno gewünscht. So bedurfte es erst einer zweiten Spende zur Nachbesserung einige Zeit später, damit er auf 18 Meter Höhe nachgebessert wurde. Einen Fahrstuhl gibt es auch heute nicht, die 98 Stufen müssen zu Fuß erklommen werden. Ich fürchte Unos Geist spukt noch heute dort herum und raunt leise „Aufzug!“.
Solche Besichtigungen kosten Zeit, und ich bin heute eh langsam. Erst gegen halb 12 kommen mein Rad und ich in die Gänge. Ein kurzes Stück fahre ich über die E22, um mein Kilometerbudget etwas zu schonen. Es sind nur knapp 4 Kilometer, doch ich weiß sofort wieder, warum ich die Straße so meide.
Dafür geht es danach wieder auf meine kleinen geliebten Straßen von Småland. So manches Haus erinnert mich an Bullerbü, kein Wunder, der Drehort in Sevedstorp ist auch nur ungefähr 50 Kilometer entfernt.
Meine erste Beinahe-Kollision
Der Straßenbelag wechselt zwischen asphaltierten und nicht asphaltierten Wegen. Auf letzteren ist es natürlich schwieriger zu fahren, da immer wieder rutschiger Kies auftreten kann. Es ist kein Auto weit und breit zu sehen, das letzte ist mir vor 20 Minuten begegnet.
Abwärts geht es mit 30 km/h auf eine Kurve zu, und als ich halb in der Kurve bin sehe ich das Ungemach: 10 Meter vor mir kommt mit gleicher Geschwindigkeit ein Kleintransporter entgegen. Er war nicht zu hören. Der Weg ist zu schmal für uns beide, er fährt so weit links, dass ich nicht mehr rechts vorbeikomme. Zumal ich auch zu weit links bin, um nach rechts auszuweichen. Vollbremsung? Reicht nicht mehr, und so fahre ich mit bestem Reaktionsvermögen direkt links in die Böschung – in einem ziemlich wilden Ritt. Es rettet uns vor der Kollision. Ich schaffe es gerade so, nicht zu stürzen. Wir fahren beide weiter. Auf 6.500 km die zweite brenzlige Situation, die letzte war noch in Polen mit Tristan. Das ist noch ein guter Schnitt, finde ich.
Bei einer kleinen Pause genieße ich die Brotzeit vom Hotel Park. Es schmeckt wirklich gut, und ich freue mich nochmal sehr, dass ich mir etwas einpacken durfte und sogar noch zwei frische selbst angebaute Tomaten und ein Getränk dazu bekam.
Dann höre ich sie plötzlich. Ein Rufen im Wald. Sicher die Elche, die ich nie gesehen habe! Nein, es sind Kühe, aber sie rufen ihre Freunde auf einer benachbarten Weide durch den Wald und es klingt wirklich interessant.
Dann doch noch ein Elch! Er hat sich gut versteckt auf dem Bild, ihr müsst genau hinsehen!
Vorbei am Kernkraftwerk Oskarshamn
Ich nehme alle Umwege in Kauf, um der E22 auszuweichen und komme irgendwann an einem Laboratorium beim Simpevarp vorbei. Auffällig viele Autos verlassen dort das Gelände, es ist 17 Uhr, wird wohl Feierabend sein. Erst später lese ich, dass hier das Kernkraftwerk Oskarshamn liegt. Ich konnte es von der knapp zwei Kilometer entfernten Straße nicht sehen. Hier wird auch der gesamte radioaktive Abfall Schwedens zwischengelagert, sowie an einem Endlager in 400 Metern Tiefe geforscht. Dieses Forschungslaboratorium kann man besichtigen, es liegen Flyer in der Region aus.
Seit circa drei Tagen sehe ich auf der Strecke keinen Radfahrer, nun kommt mir 20 Kilometer vor Oskarshamn plötzlich eine Gruppe von sicher 20 Mountainbikern entgegen. Wir scherzen kurz, dass ihre Reifen für den kiesigen Weg besser geeignet sind, als meine etwas abgefahrenen Straßenreifen, doch die Jungs sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt und rauschen direkt weiter. Ja, denke ich lachend, so war ich auch mal!
Oskarshamn, mein heutiger Zielort, kann nicht mit dem Flair von Västervik mithalten. Von hier geht die Fähre nach Gotland. Auch nach Öland geht eine Fähre, leider nur in den Sommermonaten, sonst hätte ich übersetzen können und über Öland die Tagestrecke bis Kalmar zurücklegen können. Dort geht eine der längsten Brücken Europas sechs Kilometer über die Ostsee. Sie ist für den Radverkehr aber verboten, statt dessen geht auch dort eine Fähre – ihr dürft dreimal raten – in den Sommermonaten. Aktuell kann man nur reguläre Busse nehmen. Na die würden sich bei meinem Rad und Gepäck sicher freuen!
Also lege ich den Weg morgen weiter entlang der Küste zurück bis Kalmar und schaue mir die 137 Kilometer lange Insel vom Festland aus an.
Nachdem es letzte Nacht gefroren hat, ziehen heute nochmal deutlich mehr Zugvögel an mir vorbei. Die haben es gut, nehmen einfach die Luftlinie! Auch ich befinde mich langsam mit ihnen auf dem Heimflug, unsere Tochter Kristina schickt mir ein Bild, dass dies eindrucksvoll mit meiner bislang gefahrenen Route bestätigt.
2 Kommentare
Lieber Bernd,
jetzt sind es nur noch 20 % der Tour. Jetzt kommt die Zeit, wo du dich zwar immer mehr auf die Heimkehr freuen wirst, aber aufpassen musst, dass du nicht nur noch zurückfährst. Du bist immer noch auf deiner einzigartigen tollen Tour. Die Rückfahrt beginnt erst in Lübeck, denke ich. Aber, wie ich dich zu kennen glaube und wie es sich auch liest, weißt du das ganz genau, freust dich zwar auf die Heimkehr zu deiner tollen Familie, genießt aber auch weiter konzentriert die vielen schönen Momente deiner Reise.
Ich wünsch dir weiter tolle Erlebnisse, viel glückliche Zeit und, ganz praktisch, Gesundheit, ein intaktes Fahrrad und gutes Wetter!
Lieber Karl,
hab vielen Dank!
Das Bewusstsein, dass sich die Tour dem Ende zuneigt, führt tatsächlich zu einer schärferen Wahrnehmung. Ich fahre oft wirklich fröhlich durch die Gegend und genieße noch mehr jeden dieser besonderen Tage, die nie zurückkehren werden. Natürlich auch, weil die Kilometerlast immer geringer wird. Die Balance zwischen Kilometern und Genuss zu wahren ist manchmal eine Kunst, zumindest wenn man einen so ehrgeizigen Kilometerplan hat. Man kann ganz unterschiedlich herangehen. So wie ich es gemacht habe, oder aber sich ganz treiben lassen. Beides hat etwas für sich. Jetzt erst, gegen Ende der Tour, lasse ich auch Fünfe mal gerade sein, und bin nicht traurig, wenn es mal unter ? km am Tag sind.
Radreiseglückliche Grüße aus Kalmar!
Bernd