Ostsee-Umrundung | gesamt 3.029 km
Narva (EST) – Kotly (RUS) | Tag 41 | heute 63 km
Mit der Besichtigung der Hermannsfeste und der anschließenden Erstellung des Blogs wurde es gestern Abend spät. Erst nach 1:00 Uhr habe ich das Licht ausgemacht und den Wecker auf 8 Uhr gestellt. Die Ausstellung in der Burg eröffnet um 10 Uhr, und ich habe beschlossen sie mir anzusehen, da sie auch den Zugang zum Burgturm ermöglicht.
Um 9 Uhr kommt Oskar zum Frühstück hinzu und wir können das versäumte Gespräch von gestern Abend noch nachholen. Heute hat er bislang einen freien Tag und beschlossen, eine der Kirchen in Narva aufzusuchen. Oskar meint, dass ich eins der besseren Hotels in Narva erwischt habe, denn der Service sei wirklich gut, was tendenziell mangels gutem Personal oft schwierig sei. Das kann er sicher aus seiner langjährigen Erfahrungen als Koch in Hotels beurteilen. Als wir uns verabschieden, sind wir uns einig, dass man rechtzeitig dem Ruf nach etwas Neuem folgen sollte, bevor man zu sehr abstumpft und sich dem Alltag ergibt. Er will unsere Tour weiterverfolgen.
Die Herrmannsfeste in Narva
Das Museum ist in den verschiedenen Etagen des Burgturms der Herrmansfeste untergebracht. Sie ist nicht spektakulär, jedoch ist der Ausblick aus dem seitlichen Austritt und der Holz-Ballustrade schön. Im Burghof ist ein mittelalterliches Treiben untergebracht, bei dem man die Erinnerungsmünze eintauschen kann, die man für 8 € Eintritt bekommen hat. Ich tausche sie gegen ein kleines Lederstück, in das ein Drachen und ‚Narva‘ eingeprägt sind. Leicht und klein zu transportieren.
Grenzposten nach Russland
Ab ins Hotel zum Check Out und gegen 12:20 Uhr sitze ich auf dem Norwid zur nur 800 Meter entfernten Grenzstation. Geistig mache ich mich schon darauf gefasst, nun zwei Stunden dort zu verbringen. Da habe ich mich getäuscht, nach 20 Minuten bin ich in Russland. Fast hätte es doch noch deutlich länger gedauert, denn bei der letzten Kontrollstation rufen mich zwei junge Grenzbeamte zurück, nachdem ich schon alles passiert habe. Ich soll die Taschen komplett vom Rad abnehmen und auf ein Förderband zum Durchleuchten legen.
In dem Moment kommt ein Vorgesetzter aus einem Raum, sieht was passiert, winkt mich kopfschüttelnd durch, und sagt ein paar Worte zu den jungen Grenzbeamten. So musste ich am Ende nicht einmal die Taschen öffnen. Schade, dass Tristan bei dem Meilenstein ‚Grenzübertritt nach Russland‘ nicht dabei sein kann. Es ist tatsächlich geschafft, mit Fahrrad nach Russland ist also gut machbar – man braucht halt ein paar Tage!
Die beeindruckende Festung von Ivangorod
Tipp: Irgendwie kann ich mir die Besichtigung der Festung von Ivangorod nicht entgehen lassen. So verlasse ich den Grenzbereich und fahre den kleinen Bogen von knapp 1,5 Kilometern zur Burg. Mein Rad schließe ich ab und lasse es ganz offensichtlich an der langen Treppe zur Burg hinauf stehen. Nur meine Fronttasche mit den Wertsachen nehme ich mit. Natürlich kostet auch die Besichtigung dieser Burg Eintritt, und kurz bin ich hin- und hergerissen wegen der Sicherheit meines Rades und Gepäcks. Da sehr wenig Menschen hier sind, beschließe ich einfach zu vertrauen. Wer wie ich alte verschachtelte Burgen mit langen Wehrgängen, steilen Treppen, stolzen Türmen und verzwickten Wegen mag, der ist hier genau richtig. Für knapp 3 € Eintritt kann man sich sicher stundenlang auf dem Gelände herumtreiben. Das etwas hinter der Burg liegende Museum ist im Vergleich dazu nicht so sehenswert.
Irgendwann ruft mich die Zeit, denn ich muss noch 55 Kilometer bis zu meinem heutigen Zielort zurücklegen. Ich folge der E20, die glücklicherweise heute nicht so stark wie sonst befahren ist, wie ich gelesen hatte. Das liegt vermutlich schlicht daran, dass heute Sonntag ist. Nach ungefähr 20 Kilometern erreiche ich Kingissepp.
SIM Karten in Russland
Meine mobile Karte aus Estland funktioniert natürlich nicht mehr, also brauche ich dringend eine neue, damit ich meinen Blog fortsetzen kann und ihr mit mir die Tour erleben könnt. Ich hatte mich im Vorhinein erkundigt und weiß, dass es hier zwei Shops von Мегафон gibt. Über einen Screenshot, den ich gestern Abend gemacht hatte, finde ich ihn schnell. Nun brauche ich viel Geduld, denn vor mir sind zwei Mitarbeiter und vier Kunden. Drei davon kaufen ein neues Handy, und das ganze dauert tatsächlich eine Stunde und 15 Minuten. Es wird unglaublich langsam gearbeitet und alles für den Kunden gemacht. Es gibt keine Ambitionen der Kunden etwas selbst zu machen. Nach den anderthalb Stunden bin ich dann endlich raus – und habe Internet!
An dieser Stelle gönne ich mir einen Apfelstrudel und einen Cappuccino im Café 20 Meter weiter. Denn es gibt etwas zu feiern! Nein, nicht das Internet, sondern der 3.000 Kilometer, den ich gerade erreicht habe, ein weiterer Meilenstein!
Trotz meiner guten Planung habe ich übrigens festgestellt, dass ich auf meinem GPS weder eine detaillierte Karte von Russland, noch einen Trail für die Strecke bis St. Petersburg und weiter nach Finnland habe. Somit ist das Internet und die zusätzliche Navigation über Google Maps für mich unersetzlich. Okay, eine herkömmliche Straßenkarte täte es auch, denke ich lachend!
Unterwegs auf E20 und A180
Der Weg führt von Kingissepp weiter entlang der E20. Ich hatte mich schon gefragt, warum auf der groben Karte des Eurovelo 10 (Russland ist noch nicht umgesetzt) der Weg diagonal zurück und damit einen Umweg läuft. Als ich Richtung Norden abbiege, verstehe ich es. Ich finde mich auf der A180 wieder, einer Fernstraße, die zu Sowjetzeiten von Tallinn bis nach St Petersburg führte. Sie war bis 2010 eine sogenannte Magistrale (M11), also eine Autobahn, wurde aber zu einer Fernstraße degradiert. Der Übergang zwischen Fernstraßen und Autobahnen ist hier in Russland oft fließend. Und so hat man beim Befahren dieser Straße ständig das Gefühl, einen anderen Weg wählen zu wollen. Für die nächsten 20 Kilometer gibt es für mich jedoch keinen Alternativweg.
Ich bin froh, als der Weg nach Kotly abgeht, wo ich mir ein günstiges Hotel für die Nacht gebucht habe. Ein breites Metalltor versperrt die Durchfahrt zu den Gebäuden, und als ich es aufschieben möchte, werde ich von einem Pförtner zurechtgewiesen. Er fragt was ich möchte, und ich antworte ihm auf Russisch, dass ich zum Hotel möchte und aus Deutschland bin. Dann holt er sein Mobiltelefon hervor und telefoniert. Nach zwei Minuten darf ich passieren, und das Tor öffnet sich ratternd. Ein Hotelname steht nicht an dem Gebäude, jedoch lassen die bunten leuchtenden LEDs darauf schließen, dass ich hier richtig bin.
Eine wirklich russische Unterkunft
Beim Check-In bin ich wieder froh, etwas Russisch zu sprechen. Für umgerechnet 13 € kann ich hier übernachten, und habe die Gemeinschaftsdusche fast für mich. Für knapp 2,70 € bekomme ich ein zusätzliches Abendessen mit Suppe, Nudeln, Salat und Brot. Vorher aber beeilt sich der Herr von der Rezeption, meine Sachen mit mir aufs Zimmer und vor allem mein Fahrrad in den Keller zu bringen. Er bittet mich dort, es nochmal zusätzlich abzuschließen. Das gab’s noch nie und fühlt sich seltsam an.
Das Abendessen schmeckt wirklich gut, inbegriffen ist sogar ein großer Krug zu trinken. Als ich der Köchin ein paar nette russische Worte zu ihrem Essen sage, erwidert sie in gebrochenem Deutsch, dass sie zu Sowjetzeiten für die Armee 19 Jahre in Frankfurt an der Oder gelebt hat. Ein bisschen mit Händen und Füßen, aber die hier herrschende Distanz schmilzt ein Stück zusammen. Sie sagt, sie mag die Deutschen. Morgen gibt es Frühstück, sie ist ab 7 Uhr in der Küche, und ich möchte früh los, denn mein Plan ist es, morgen die 135 km bis Sankt Petersburg zurückzulegen. Ich bin gespannt, ob ich das hinbekomme.
Wie gewohnt schieße ich noch ein paar Fotos draußen vom Hotel und der Umgebung. Als ich bei der Rezeption nach dem WiFi Code frage, werde ich darauf angesprochen, dass ich Fotos gemacht habe und ich das nicht darf. Ach ja, ich bin ja in Russland. Schwer zu ertragen für einen Blogger. Tatsächlich existiert das Verbot in Russland für Industrieanlagen, Brücken, Bahnhöfe, Militär- und Grenzanlagen. Vielleicht hätte mich der Pförtner schon zum Nachdenken bringen müssen, er hat mich auch beim Fotografieren gesehen. Wer mich wohl verpetzt hat? Abends finde ich heraus: Das Haus und Gelände ist eine ehemalige Kaserne. Jetzt verstehe ich. Na, da kann ich froh sein, gut davongekommen zu sein, ich las davon, dass das zu langen Verhören führen kann. Sollte man vielleicht auf der Website des Hotels ergänzen.
2 Kommentare
Wow, das hört sich alles sehr spannend an! Ich wäre so gerne selber dabei, aber 100km schaffe ich nicht und russisch kann ich auch nicht?. Wir begleiten dich den ganzen Tag und freuen uns auf deine Berichte.
Weiter so.
Susi❤️?
Liebe Susi,
Russisch würde ich für Dich machen und auch auf 70 km reduzieren! Wann kommst Du? ?
Ihr fehlt mir! ♥️
Euer Bernd