Ostsee-Umrundung | gesamt 5.203 km
Luleå (SWE) – Piteå (SWE) | Tag 69 | heute 70 km
Der Tag heute früh fängt ja gut an. Der auserkorene Radladen ist leider nicht bereit dazu, die Speiche heute Morgen auszutauschen und das Rad zu zentrieren. Vielleicht im Laufe des Tages nach den anderen Aufträgen. Da hilft auch kein Erklären über Tour, Weiterkommen und guten Zweck. Es gibt noch einen zweiten Radladen: Mickes Cykelverkstad.
Ein selbstloser Schwede
Als ich zu der kleinen Werkstatt komme, hängt ein Schild an der Tür, dass erst wieder ab 10 Uhr geöffnet ist. Ich warte die 20 Minuten, und als der Besitzer kommt, schaut er auf mein Rad und sagt sofort ’no‘, ohne weiter zu schauen. Ein bisschen verzweifelt frage ich, warum ’no‘, und er fragt nach dem Problem. Er spricht kein Englisch und ich kein Schwedisch, aber die kaputte Speiche ist schnell gezeigt. Er nickt und nimmt mich mit in den Laden. Sofort beginnt er die Speiche auszutauschen, als er fertig ist möchte er nicht einmal einen Euro dafür haben. Er wünscht mir eine gute Tour. 50 Kronen wandern in die Kaffeekasse. Ein anwesender Kunde übersetzt ein bisschen, und so mache ich ein Abschiedsfoto. Er sagt dass der Eigentümer ein wirklich herzensguter Mensch ist. Das kann ich bestätigen, so etwas ist mir auf der Tour noch nicht begegnet. Seine Selbstlosigkeit bedeutet mir heute Morgen unendlich viel.
Überglücklich über die schnelle Reparatur fahre ich zurück zum Hotel, um möglichst rasch weiter zu kommen. Kalt ist es heute Morgen mit nur 6 Grad Celsius, nach der kurzen Strecke vom Fahrradhändler zurück habe ich schon kalte Hände.
Bis ich allerdings los komme ist es halb zwölf und es sind bereits 8 Grad. Da kann ich die langen Handschuhe noch eingepackt lassen. Ich verlasse Luleå und überquere eine lange Brücke Richtung Süden, von der ich nochmal einen Blick zurück auf die Stadt werfe.
Kalter Nordwind über blauem Wasser
Die E4 sieht auch heute nicht besonders verheißungsvoll aus. Und so schlage ich die vorgegebene Radroute ein und genieße abermals kilometerlang die unbefestigten Wege bei Sonnenschein, der das Thermometer auf knapp über 10 Grad bringt. Der kalte Nordwind hat es heute in sich, er weht zwar fast aus der richtigen Richtung, in Böen muss ich manchmal aber kräftig dagegenhalten, wie bei der Querung eines Deichs über einen See kurz vor Hälleström, der aber auch gleichzeitig das schönste Fotomotiv des Tages hergibt.
Eigentlich würde ich hier gerne pausieren, dafür pfeift der Wind aber viel zu kalt über das Wasser. Für Pausen nehme ich mir immer vor, auf eine Bank zu warten. Aber die Hoffnung gebe ich mittlerweile auf. Bänke an der Strecke sind Mangelware, es gibt keine. Angekündigte Cafés – geschlossen. So stehe ich entweder neben dem Rad, oder sitze, sofern es trocken ist, auf Steinen oder dem Boden. Wartehäuschen an Bushaltestellen sind ebenfalls eine adäquate Lösung. Nur die Busfahrer schauen manchmal etwas irritiert, dass aus den Bushaltestellen nun Rasthaltestellen geworden sind.
Nordschwedische Autofahrer mit wenig Radfahrer-Rücksicht
Die schwedischen Autofahrer fahren deutlich anders als die Finnen. War ich in Finnland noch absolute Rücksichtnahme gewohnt, und hielten die Finnen schon zehn Meter vor den Zebrastreifen an, wenn sie mich nur kommen sahen, so muss ich diese Sicherheit schnell ablegen. Zebrastreifen werden ignoriert, Vorfahrt missachtet, und selbst auf Vorfahrtsstraßen musste ich schon mehrfach eine Vollbremsung hinlegen, weil ein entgegenkommendes Fahrzeug einfach abbiegt und mich der Fahrer dabei ganz klar sieht. Ich habe nicht nur das Gefühl, dass die Schweden selbst glauben, unheimlich gut Auto zu fahren. Auch Tore, mein finnischer Gastgeber sagte, dass die Finnen nicht gut fahren könnten, die Schweden hingegen viel besser. Ich denke, sie sind zumindest überzeugt davon.
Dann muss ich zehn Kilometer vor Piteå doch noch ein Stück auf die E4, doppelspurig, gerade einmal 30 cm Fahrspur bleiben mir zwischen Leitplanke und weißer Linie.
Gedanken an die Strecke aus St. Petersburg steigen in mir auf, nach drei Kilometern kann ich die Straße verlassen, als sie nahtlos als Autobahn weitergeht. Der Radweg nach Piteå entlang des schmalen Meeresarms entschädigt. Schöne Häuser säumen den Weg mit Blick direkt auf das Meer und die nur 60 Meter entfernte Nachbarinsel, die über eine Brücke zu erreichen ist.
Schreckmoment: Die Kamera ist weg!
Ab ins Hostel, außerordentlich früh gegen fünf Uhr. Heiße Dusche, und der Blog entsteht bei einem Cappucino im Espresso House nebenan. Nachdem ich das Lokal verlassen habe und wieder in meinem Zimmer bin, stelle ich geschockt fest, dass mein Fotoapparat nicht mehr in meiner Hosentasche ist. Ich lasse alles stehen und liegen und stürme zurück zum Café – da liegt er noch, aus der Hosentasche in eine dunkle Ecke des Sessels gerutscht. Gott sei Dank, der Verlust wäre für mich (und für euch!) eine Katastrophe gewesen.
Morgen ist Dauerregen angesagt, 15 Stunden. Ein sicherer Zielort wäre gut, aber es gibt in der nächsten möglichen Stadt keine einzige Unterkunft mehr. Nur 20 Kilometer davor, aber dann ist die übernächste Stadt nicht mehr erreichbar. Das ist das Dilemma morgen, entweder ich bleibe eine weitere Nacht hier und verliere einen Tag, oder ich fahre und habe übermorgen mehr als 150 km vor mir.
Die Entscheidung treffe ich erst morgen früh, dann ist die Wetterlage sicherer und ich kann nochmal die Unterkünfte checken. Die kleine Stadt Piteå lädt jedenfalls für einen entspannten Tag ein, sie ist seit Oulu in Finnland das schönste Städtchen mit einer ganz ähnlichen Größe wie meine Heimatstadt Jülich.