Ostsee-Umrundung | gesamt 6.428 km
Nyköping (SWE) – Norrköping (SWE) | Tag 84 | heute 76 km
Heute Morgen geht alles etwas langsamer. Mit den 123 Kilometern von gestern in den Knochen, lasse ich es gemächlicher angehen. Und heute ist es dazu ein ganz besonderer Tag. Tristan wird heute 18 Jahre alt! Und so lasse ich es mir natürlich nicht nehmen, morgens einen Video Call mit ihm zu starten. Er hätte seinen Geburtstag also mit mir gemeinsam in Schweden irgendwo in der Nähe von Stockholm gefeiert. Jetzt feiert er ihn zu Hause und sieht dabei sehr glücklich aus, was mich ausgesprochen freut. Unser zweites volljähriges Kind!
Das Hotel hat viele kleine und große Konferenzräume und bietet dazu noch eine Oldtimer Ausstellung. Unter anderem auch einen Ferrari Testarossa. Ein Auto aus meiner Jugend! Ein Oldtimer? Oha, denke ich schmunzelnd, was sagt mir das?
Dann erreicht mich noch eine Videobotschaft von unseren lieben Freunden aus Frankfurt, die meinen Blog eifrig jeden Tag verfolgen. Stephie, Christian, Nala (und Humphrey!): Ich freue mich irrsinnig über diesen netten Gruß, er ist heute morgen meine Motivation, um in die Pedale zu treten! Ganz großes Kino.
Meine Fahrt geht zunächst zum Coop, und als ich die Fahnen im Wind davor straff flattern sehe, schwant mir Schlimmes. Mit frischen Vorräten beladen losfahrend, bestätigt sich meine Vermutung: Bei Windstärke 5 bis 7 habe ich exakten Gegenwind aus West. Knapp 10 Kilometer führen mich aus Nyköping entlang Radwegen, dann biege ich auf eine schmale, hübsche und sehr wenig befahrene Straße ab.
Die Westrichtung bleibt mir bis Kilometer 30 erhalten, dazu kommen diverse Höhenmeter auf einem nicht asphaltiertem Weg. Immer wieder passiere ich auch gerodete Zonen. Das ist nicht ungewöhnlich – weder in Schweden noch in Finnland. Die Holzwirtschaft ist dank der üppigen Ressourcen weiterhin einer der großen Wirtschaftszweige.
Ich beginne meine Beine ganz ordentlich zu spüren, obwohl ich mich nicht massiv gegen den Wind stemme. Es verspricht zu dieser Zeit ein zäher Tag zu werden. Der Weg knickt ab Richtung Süden und es sind knapp acht Kilometer, bis ich an die Küste komme und in Säter den Fähranleger erreiche.
Einsamer Fährhafen
Die Ostsee präsentiert sich aufgewühlt in einem traumhaften Aquamarinblau, der Wind pfeift mir um die Nase. Sprachlos betrachte ich das sich mir bietende Bild. Ich nutze die Pause, um mir mein Sandwich schmecken zu lassen und warte geduldig, dass die Fähre zu mir hinüber kommt. Sie liegt knapp einen Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Meeresarms. Die Abfahrtszeiten sind angeschlagen mit voller und halber Stunde.
Als nach 50 Minuten immer noch kein Anzeichen dafür zu sehen ist, dass die Fähre auf der anderen Seite ablegt, lese ich mir den schwedischen Zeitplan nochmal durch. Es ist eine Wendefähre, die nur dann fährt, wenn auch ein Verkehrsteilnehmer überfahren möchte. Muss ich jetzt also warten, bis von der anderen Seite jemand hinüber möchte?
Das Video vermittelt einen guten Eindruck der heutigen Windverhältnisse und der Schönheit der Ostsee an dieser Stelle.
In der Zwischenzeit erscheint ein schwedisches Wohnmobil. Da ich mir nicht sicher bin, warum die Fähre nicht kommt, frage ich den Fahrer, ob er Näheres weiß. Und in der Tat, er hat gerade mit dem Betreiber telefoniert und erfahren, dass die Fähre einen Defekt hat und voraussichtlich für eine Woche ausfällt. Nirgendwo war etwas darüber angeschlagen, weder auf dem Zeitplan noch auf der Webseite des Betreibers, das hätte mir sehr geholfen. Positiv: Ich weiß, was Sache ist. Negativ: Für mich bedeutet dies 45 Kilometer Umweg. Etwas viel Demotivierenderes hätte mir zu diesem Zeitpunkt kaum passieren können. Denn es bedeutet auch: 25 weitere Kilometer gegen den Westwind ankämpfen und etliche zusätzliche Höhenmeter. Hätte ich übersetzen können, wäre die Fahrt gegen den Wind für heute beendet gewesen.
Als ich weiter oben auf die Hauptstraße abbiege, ist dort tatsächlich ein Schild angeschlagen, dass die Fähre geschlossen ist. Super, ich bin allerdings einen anderen Weg gekommen, wo ich ein solches Schild nicht gesehen habe. Die andere Frage ist, ob ich es auch verstanden hätte. Ich treffe einen Schweden, der ebenfalls mit dem Betreiber telefoniert hat. Die Fähre ist erst seit zwei Stunden ausgefallen, davor fuhr sie. Ich habe die letzte also ganz knapp verpasst.
So quäle ich mich die wirklich schöne Küstenstraße wieder bis auf 90 Höhenmeter hoch, bis sie nach dem Kolmården Zoo anschließend wieder den Weg zurück an die Küste findet. Dem leeren Parkplatz nach zu schließen, haben Zoo und zugehöriges Café wohl wie so vieles zu dieser Jahreszeit geschlossen.
Ein echter Küstenradweg
Die Straße geht so dicht an der Küste vorbei, wie ich es sehr selten auf dem Eurovelo 10 erlebt habe. Eigentlich genau so, wie man es von einem Küstenradweg erwarten würde. Leider ist sie auch recht stark von Autos befahren und bietet gleichzeitig wenig Platz für Fahrräder, so dass die Strecke nicht nur heftigen Gegenwind sondern auch ordentlich Fahrstress bietet. Denn Windböen bringen mich so manches Mal aus der Spur. Trotz des wirklich atemberaubend schönen Blicks über die Ostsee bin ich froh, als ich endlich den nördlichsten Punkt des Meeres abends erreiche, und die befahrene Straße verlassen kann. Dort kratze ich mal wieder eine überfahrene Schlange von der Straße, kein Bild für euch, zu übel zugerichtet. Es ist weder Kreuzotter noch Ringelnatter, und ich muss erst recherchieren, um herauszufinden, dass es eine ungiftige Glattnatter ist.
Die nun erreichten knapp 65 Kilometer hatten es dermaßen in sich, dass ich geschafft und entnervt nach einer Unterkunft in der nächsten Stadt Norrköping suche. Diese liegt 12 Kilometer entfernt natürlich deutlich vor meinem eigentlichen Tagesziel, aber es ist bereits 17 Uhr, und ich möchte es nicht wieder so spät wie gestern werden lassen. Cafés gab es heute leider keine an der Strecke, ebenso keine erwähnenswerten Begegnungen.
Mühsame Streckenplanung
Die abendliche Planung der weiteren Fahrtstrecke gestaltet sich sehr mühsam und nimmt fast eineinhalb Stunden in Anspruch. Die Temperaturen werden in den kommenden Tagen nachts bis in die Minusgrade sinken, und auch tagsüber werden sie nicht mehr zweistellig. Ab morgen Nachmittag soll es außerdem wieder regnen.
Hütten finde ich keine an der Strecke. Ich finde ein günstiges Ferienhaus, auch wenn es mir widerstrebt, eine Unterkunft für fünf Personen für mich alleine zu buchen, so ist es doch die günstigste Möglichkeit an der Strecke, auch in Bezug auf die Distanzen zu den Orten für die folgenden zwei Nächte. Ich muss meine üblichen 100 Kilometer Planungen der kommenden zwei Tage auf drei Tage verteilen. So habe ich aber wenigstens etwas Planungssicherheit und muss in den kommenden Tagen nicht so viel Zeit wie heute zur Planung aufwenden. Morgen werden es damit nur knapp 60 Kilometer. Prima, vielleicht schaffe ich es noch vor dem Regen!
2 Kommentare
Oha, so können Fotos täuschen! Es sieht sooo schön aus, blauer Himmel leicht bunte Bäume, und ein paar hübsche Wölchen. Und die Realität ist dann doch wind, kalt und laaange Umwege. Da war das Video gut; hatte gerade ein paar Zeilen drüber gedacht, was eine Illusion und dann kam das Video .. als hättest du es geahnt …
Dann drücke ich mal die Daumen, dass die nächsten Tage geklappt haben/ gerade laut Plan klappen … und lasse mich jetzt beim Lesen überraschen. Und hoffe, dass das Durchhalten nicht zuuu anstrengend wird!
Ulla
Danke für Deine Kommentare. Die lese ich immer sehr gerne!
Ich genieße aktuell jeden Tag, trotz Kälte und laufender Nase (nur durch die Kälte, keine Erkältung!). Das Video hatte ich tatsächlich hinzugefügt, weil man bestimmte Dinge nur schlecht mit einem Foto transportieren kann. Zum Beispiel den Wind an diesem Tag! Und es ermöglichte auch, das Panorama statt nur einen Ausschnitt zu zeigen.
Radreiseglückliche Grüße
Bernd