Ostsee-Umrundung | gesamt
Gråsten (DEN) – Gelting (DEU) | Tag 100 | heute 70 km | gesamt 7.861 km
Letzter Tag in Dänemark. Die Nacht über hatte ich einen blöden Reizhusten. Ich muss etwas vorsichtig sein heute, damit ich nichts verschleppe. Aus Edinburgh kommen gute Wünsche für trockenes Wetter, ein Café und einen guten Cappuccino. Werden sie in Erfüllung gehen?
Die Erkältung macht mich heute langsam – noch bevor ich den Sattel berühre. Ich genieße das Frühstück, und Louise von der Rezeption trägt mir tatsächlich eine Tasche mit nach draußen. Das hat Seltenheitswert. Überhaupt ein tolles Haus mit moderaten Preisen, deutlich unter Sønderborg. Das verdient einen
Tipp: Falls ihr in der Gegend etwas sucht, werdet ihr ganz in der Nähe der Sommerresidenz der dänischen Königsfamilie in Gråsten fündig: Det Gamle Rådhus. Es ist das frühere Rathaus und auch heute finden im Trauzimmer gelegentlich noch Trauungen statt.
Fußläufig könnt ihr das Schloss Gråsten erreichen und kostenfrei durch den schönen Schlosspark flanieren. Das habe ich mir natürlich nicht entgehen lassen. Eine großzügige Parkanlage in der man wunderbar Ruhe finden kann. In den Teichen des Schlosses werden übrigens traditionell Karpfen gezüchtet.




Ich fahre vorsichtig in mich hinein horchend los. Besser keine große Anstrengung, wer weiß was noch kommt. Tatsächlich geht es dann auch auf und ab. Dicht an der Ostsee bei Sønderhav mache ich ein paar Fotos mit milchig verregnetem Horizont an einem Steg. Ich komme mit einem Urlauber ohne Rad ins Gespräch. Er ist aus Köln, und sein technischer Radverstand zeichnet ihn sofort als aktiven Radler aus. Er steht auf der linken Seite meines Rads und spricht sofort von Rohloff und Riemenantrieb. Mit seiner Frau hat er schon so manches Radabenteuer in Angriff genommen. Ein echter Reiseradler steht vor mir. Besonders angetan hat es ihm Slowenien, dort sind seine Frau und er mit je neun Kilogramm Gepäck unterwegs gewesen. Vielleicht ist Slowenien eine Anregung für die Zukunft?



Der Nieselregen verdichtet sich, ich stelle mich kurz unter, entscheide mich aber gegen die Regenhose. Sehnsüchtig wünsche ich mir Sonne herbei. Blauen Himmel, und endlich wieder freie Sicht auf und über die Ostsee, statt der ewigen vielleicht 300 Meter Sicht.
Am Kollunder Forst direkt hinter Kollund geht es knackig aufwärts entlang des Ostseeradwegs. Ich komme bis ans Limit meiner Sauerstoffkapazitäten. Kurz überlege ich zu schieben. Aber nur kurz. Fast 8.000 Kilometer, und ich habe nie geschoben, weil es zu steil wurde. Nur, wenn es technisch nicht mehr anders ging und ein Sturz drohte, oft im sandigen polnischen Nationalpark etwa. Nach 40 Höhenmetern auf kürzester Strecke fahre ich durch den Forst über die geschlossene nasse Laubdecke bunter Blätter. Nach dem Forst komme ich an eine Brücke, begrenzt von zwei Häuschen. Ich schaue auf den Pfeiler daneben und sehe ein großes ‚D‘. Unerwartet stehe ich mit dem Vorderrad nach 7.800 Kilometern wieder in Deutschland! Ich mache ein paar Fotos vom Grenzübergang ‚Schusterkate‘, einer kleinen Holzbrücke, die früher von Gendarmen bewacht wurde und einer der kleinsten Grenzübergänge Europas ist.

Nach der Überquerung begrüße ich freudestrahlend einen deutschen Mopedfahrer, der sich mit mir auf norddeutsch freut und bereitwillig ‚high five‘ macht. Beim Weiterfahren spüre ich Tränen in meinen Augen: Nach 100 Fahrtagen erreiche ich wieder das Land, in dem ich gestartet bin – die Umrundung der Ostsee ist fast geschafft.
Flensburg
Wenig später komme ich nach Flensburg. Ich fahre eine lange gerade Straße auf dem Radweg rechts bergab, als unvermittelt aus dem Gegenverkehr ein Auto zwischen den am Rand geparkten Autos hindurch auf einen Parkplatz abbiegt, ohne den Fahrradweg zu beachten. Wir legen beide eine Vollbremsung hin, auf dem nassen Asphalt mit Herbstlaub rutscht es herrlich, und ich komme knapp einen Meter vor seinem Kotflügel zum Stehen. Adrenalin pur! Der Fahrer schüttelt die Hand, macht die Scheibe runter, entschuldigt sich und fragt, ob alles okay sei. „Ja“, sage ich, „nach 100 Fahrtagen zurück in Deutschland! Jetzt will ich die restlichen Kilometer auch noch unfallfrei fahren! Alles in Ordnung.“
Meine Beine schlottern etwas, ich mache einige hundert Meter weiter eine Pause, esse mein Butterbrot und entschließe mich, der durch Flensburg führenden zweispurigen Straße möglichst rasch zu entkommen. Sie ist eine echte Bausünde, denn eigentlich liegt Flensburg fast fjordartig schön um die Flensburger Förde. Der Kontrast zum vor wenigen Kilometern noch geringen Verkehr in Dänemark ist riesig.



Schloss Glücksburg
Hügelig geht es weiter nach Glücksburg, wo ich einen kleinen Abstecher zum 1587 erbauten ‚Schloss Glücksburg‘ mache. Es gehört zu den bedeutendsten Schlossanlagen Nordeuropas und damit auch in mein Radprogramm. Der Name stammt von dem Wahlspruch des Auftraggebers Herzog Johann dem Jüngeren: ‚Gott gebe Glück mit Frieden‘. Die Inschrift GGGMF ist über dem Eingangsportal zu finden. Der Bauherr war der Bruder des dänischen Königs, Schwager des Kurfürsten von Sachsen und wurde durch viele seiner 23 Kinder der Schwiegervater mehrerer deutscher Fürsten. Im Volksmund wird er so auch ‚ Schwiegervater Europas‘ genannt, wie mir ein freundliches Ehepaar erzählt, das ich in der Nähe des Schlosses treffe. Der freundliche Herr erzählt mir auch, dass er die Gendarmen am Grenzübergang ‚Schusterkate‘ noch erlebt hat. Ein schönes Gespräch mit den beiden, er schießt schnell noch ein Foto für mich.


Das Café im Schloss hat natürlich seit dem 21. Oktober nur noch am Wochenende geöffnet. Aber ich befände mich nicht in Glücksburg, wenn nicht doch ein Café auftaucht. Und so bekomme ich nicht nur einen Cappuccino, sondern auch eine leckere Waffel mit Zimt und Zucker, während es draußen dunkel wird und ein Regenschauer vorüberzieht. Ich verlasse Glücksburg und erwerbe noch rasch eine Trinkflasche, nachdem eine meiner beiden Flaschen auf Fehmarn kaputt gegangen war. Sie ist der Schwerkraft erlegen. Der Inhaber des Fahrradladens hatte mir im Vorbeifahren freundlich zugewunken.

Nun möchte ich doch noch ein paar Kilometer machen, ich habe erst 35 Kilometer geschafft, es wird kein Rekord heute, aber das soll es auch nicht. Der Ostseeradweg ist wunderbar abwechslungsreich. Die Bodenbeläge wechseln von Asphalt zu Teer und Schotter. Mal sind die Wege waldig, mal schlammig, und mal sind es die klassischen Wirtschaftswege. Sie sind breit und glatt oder auch schmal und ruckelig. Aber fast immer führt der Weg ganz dicht an der Ostsee entlang, teils mit kleinen Schleifen und Höhenmetern ins Land hinein.
Sonne
Dann die Sensation der letzten Tage: Sonnenstrahlen treffen mich blendend, es heitert auf. Die Sicht verbessert sich innerhalb einer halben Stunde dramatisch. Von echtem Usselwetter hin zu fantastischem Herbstwetter mit Wolken am blauen Himmel über einer blauen Ostsee. Blau frisst grau – endlich! Versteht mich nicht falsch, der Herbst hat seine schönen Seiten, aber wenn es seit Tagen grau in grau ist, regnet, die Sicht auf 300 Meter limitiert ist, und ihr dem Wetter täglich viele Stunden ausgesetzt seid, verursachen Sonnenstrahlen eine Explosion der Glückshormone. Verdutzt bemerke ich, dass ich über die Flensburger Förde bis nach Dänemark schauen kann. Das ging von Dänemark wegen des Schietwetters nicht. Ich erkenne sogar das große schwarze Hotel von Sønderborg, das Steigenberger Alsik, über die Distanz von knapp 10 Kilometern.







Gegen halb sechs suche ich eine Unterkunft und finde zu einem super Tarif eine Unterkunft bei einem Griechen direkt mit gutem Restaurant.
Abends spreche ich mit einem netten Ehepaar aus Bielefeld über meine Tour, die unabhängige Wählergemeinschaft, die im gläsernen Nebenraum tagt, und über pubertierende Jugendliche und den Weg zu einer erfüllenden Arbeit für junge Leute nach der Schule. Ein schönes Gespräch zum Tagesabschluss.
Ach ja, sind die Wünsche von heute morgen aus Edinburgh in Erfüllung gegangen? Tatsächlich, ab Glücksburg war ich ein Glückskind! Danke, solche guten Wünsche brauche ich mehr!
Morgen geht es weiter Richtung Kiel. In großen Schritten nähere ich mich nun Lübeck.
2 Kommentare
Lieber Bernd,
herzlich willkommen in Germania!
Jetzt könntest du vielleicht die kurze Strecke von Kiel direkt nach Lübeck nehmen und eventuell heute schon den Kreis schließen. Aber wie ich dich kenne wirst du, wenn du einigermaßen fit bist, die echte Ostseeumrundung um Meer entlang komplettieren und einen Tag länger brauchen.
Ich wünsche dir erst mal vor allem Gesundheit, dass der blöde Husten verschwindetKarl !
Und dann noch eine schöne Restreise mit blauem Himmel und netten Begegnungen, und schließlich eine gute Heimfahrt.
Wir freuen uns sehr auf dich!
Lieber Karl,
Du kennst mich wirklich gut! Natürlich bin ich der Küstenlinie gefolgt, und es war oft seltsam, nur eine Tagestour von Lübeck entfernt zu sein, und dann doch noch mehrere Tage zu brauchen. Nun habe ich den „See“ umrundet und die Linie hat sich in Travemünde geschlossen.
Die Erkältung hat mich nochmal etwas Kraft gekostet, aber bei dem Zieleinlauf gestern in Lübeck schien tatsächlich nochmal die Sonne.
Tristan war überraschend da, was mich unglaublich gefreut und emotional sehr berührt hat.
Herzliche Grüße aus dem Zug von Lübeck nach Jülich
Bernd
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