Ostsee-Umrundung | gesamt 4.887 km
Oulu (FIN) – Kemi (FIN) | Tag 64 | heute 120 km | ?
Bei einem Müsli-Bananen Frühstück unterhalte ich mich noch einmal mit dem Vermieter. Er sagt, dass er früher auch über Couchsurfing gesucht hat, die Leute aber oft einfach nicht gekommen sind. Wenn etwas einen Preis hat, dann kämen sie auch. Das kann ich von früheren Bankseminaren bestätigen. Er selbst nutzt auch Couchsurfing, wenn er verreist. Ganz sozial und im Sinne von Couchsurfing ist das natürlich nicht. Dann kommt halt mal einer nicht, denke ich. Er nimmt sich die Zeit und erkundigt sich ausführlich über meine Reise und den guten Zweck. Aber ich denke er versteht nicht, dass ich für ein Projekt für einen guten Zweck meinen Job gekündigt habe. Zu sehr ist das Glück für ihn und seinen anderen Gast von Wohlstand und Geld abhängig. Dabei reicht es doch Fahrrad zu fahren, um glücklich zu sein! Na gut, von etwas muss ich auch essen und schlafen.
Der nächste Speichenbruch
Der Vermieter hilft mir noch, meine vielen Taschen nach unten zu tragen. Ich inspiziere mein Rad, nachdem ich gestern Abend am Hafen von Oulu beim Wiederaufsitzen und Losfahren ein seltsames Geräusch gehört habe, das ich noch nicht kannte. Am ehesten zu beschreiben als ein ’sproing‘. Zunächst hatte ich nichts gefunden, jetzt aber sehe ich das Malheur: eine Speiche ist am Hinterrad gebrochen!
Zum Glück habe ich Ersatzspeichen. Ich überlege: Selbst tauschen, was ich noch nie getan habe, oder doch lieber in Oulu zu einem Radladen, der dann sicher auch das Rad besser zentriert. Die Chance, einen guten Radladen an der Strecke zu finden, wird lange nicht mehr so gut sein wie jetzt hier in Oulu. Ein Finne kommt vorbei und empfiehlt mir ein gutes Fahrradgeschäft. So fahre ich die acht Kilometer zurück nach Oulu mit dem Gedanken im Gepäck, wie lange ich wohl warten muss, und ob ich meine Strecke nach Kemi heute noch schaffen werde.
Schnelle Hilfe im Radgeschäft
Tipp: Im Radgeschäft Pyörä-Suvala komme ich tatsächlich sofort dran. Ich frage, ob ich dabei sein darf und merke mir die Handgriffe für einen möglichen nächsten Speichenbruch. Auf die Idee, die Speiche zu wechseln ohne das Rad auszubauen, wäre ich nicht gekommen. Er lässt die Luft ab, und drückt Schlauch und Mantel zur Seite. So kommt er problemlos an den Speichen-Nippel. Nach einer halben Stunde ist es repariert und er hat auch das Rad grob zentriert. Er sagt, dass die Felge in keinem so guten Zustand ist, dem Gewicht des Gepäcks und den Kilometern geschuldet. Als er fragt, ob ich noch Ersatzspeichen habe, frage ich ihn, ob er das aus einem bestimmten Grund fragt. Nein, meint er lachend, es sei nur eine Frage. 20 € lasse ich dafür liegen und bin froh, so schnell wieder fahrtüchtig zu sein.
Ich kaufe im Lidl nebenan ein, bis ich losfahre ist es fast 12 Uhr. So fehlen mir die 40 bis 50 Kilometer, die ich sonst zu dieser Zeit schon hinter mir habe. Nochmal passiere ich Oulu, es sind am Ende 18 Zusatzkilometer, bis ich wieder auf meiner Strecke bin.
Der entspannte Felipe
Der Streckenverlauf ist heute nicht spektakulär, er folgt weiter der Europastraße 8, mal mit Radwegen, mal ohne im dichten Verkehr, der gegen 16 Uhr immer deutlich zunimmt. Rushhour auf der E8. Bei einer Pause auf dem Radweg sitzend, spricht mich plötzlich jemand an. Ich kann es kaum glauben, ein Radreisender aus der Gegenrichtung. Felipe ist aus Chile, lebt in Spanien und hat nach seinem Start in Portugal bereits 9.000 Kilometer hinter sich. Er war fast am Nordkapp und kommt gerade aus der Richtung. Frostig wird es dort langsam, meint er zu mir, nur noch wenige Radler sind wohl unterwegs. Er hat exakt einen getroffen. Wir tauschen uns über Strecken aus, und er schickt mir einen Link zu Sheltern in Finnland. Super, den habe ich lange gesucht, aber kein Radler, kein Campingplatz, und kein Einheimischer hatte ihn für mich.
Shelter sind regendichte Unterstände, in denen man schlafen kann, ohne ein Zelt aufbauen zu müssen. Felipe ist für ein Jahr unterwegs, hat ebenfalls seinen Job gekündigt. Er scheint mir allerdings viel entspannter als ich selbst zu sein, und hat heute erst 20 Kilometer hinter sich. Ich trotz Speichenbruch schon 70. Speichenbruch, lacht er, ja, das sei doch normal, er habe schon vier gehabt. Alles eine Sache der Perspektive! Ein symphatischer Radler, fast bin ich ein wenig traurig, dass wir nicht die gleiche Richtung fahren. Er ist auch über Deutschland gefahren, unter anderem Lübeck, unseren Startort. Dann aber nördlich über die Lofoten, wo er viele Radler getroffen hat.
Zum Glück habe ich heute Rückenwind, das erste Mal wirklich auf der Tour. Er hilft mir Zeit herauszuholen, und so erreiche ich meine 100 Kilometer heute gegen 17 Uhr, nur eine Stunde später als am Tag zuvor. Gleichzeitig erreiche ich Lappland und schieße ein Foto.
Lappland
Die Sonne scheint – und plötzlich fängt es aus heiterem Himmel an kräftig zu regnen. Ich stelle mich schnell unter einen Baum und habe das Rad nicht im Blick. Dabei übersehe ich, dass ich die Fronttasche offen habe. Als ich nach zehn Minuten zu meinem Rad zurückkomme, sehe ich das nächste Malheur: das Wasser steht in der Tasche, und sowohl Dokumente als auch Elektronik sind klätschnass. Der Reisepass wellt sich, ich schüttle das Wasser aus den Anschlüssen der Powerbank, die nicht mehr funktioniert. Ach ja, meine Jacke war noch hinten drauf, ich wringe sie aus.
Der nächste Regenguss kommt, immer noch bei Sonnenschein, ich buche mir leicht frustriert mit klammen Fingern auf dem nassen Display ein Hotel, bevor es weg ist. Morgen plane ich wegen Dauerregen nicht zu fahren. Der warme Südwind über der Ostsee hat die Atmosphäre mit Regen aufgeladen.
Ziemlich geschafft fahre ich die letzten 20 Kilometer und freue mich auf die Sauna. Als ich die Hoteladresse in der App checke, stelle ich fest, dass mit der Buchung etwas schief gelaufen ist. Es ist keine Buchung vorhanden, und zu allem Überfluss das nächste Maleur: das günstige Hotel ist jetzt ausgebucht. Es ist einfach nicht mein Tag, ich frage mich, was er mir sagen möchte.
Ich finde eine Alternative in einem Hostel. Als ich dort ankomme, komme ich zunächst nicht hinein, weil ich einen Code brauche. Diesen soll ich eigentlich per E-Mail oder SMS bekommen, er ist aber noch nicht da. Die Hostels und Unterkünfte ohne besetzte Rezeption sind immer anstrengend, wenn man knapp davor gebucht hat. Es dauert am Ende fast eine Stunde, bis ich den Code zu meinem Zimmer habe. Zum Ausgleich hat das Hostel eine Sauna, in der ich mich aufwärmen kann.
Ein seltsamer Tag, an dem vieles nicht so lief, wie ich es mir gewünscht hätte und ich ständig improvisieren musste. Und der erste Raddefekt seit fast 5.000 Kilometern. Seltsam, genau vor der Entscheidung zum Nordkapp zu fahren oder nicht.