Ostsee-Umrundung | gesamt 2.030 km
Rīga (LVA) – Svētciems (LVA) | Tag 26 | heute 107 km
Es war eine schlechte Nacht – nicht nur dass mich viele Dinge mental beschäftigt haben, sondern es gab auch bis 2 Uhr und wieder ab 4 Uhr laute Musik. Die Hostelrezeption erklärt, dass es ein Party Hostel und nicht zum Schlafen sei. Na gut, dann kann ich das entsprechend bei Booking so kommentieren, was soll ich mich ärgern, es gibt Wichtigeres.
Ich stelle mich kurz unter die Dusche, um wach zu werden und krame still meine Sachen im Zimmer zusammen. Dann mache ich mich auf zum Crumble Cafe, um nach meiner Jacke zu fragen. Und tatsächlich – da ist sie! Aus lauter Freude umarme ich die perplexe Bedienung. Das hätte mir noch gefehlt zu meinem Glück, wenn sie weg gewesen wäre. Sie ist mein Base Layer, wenn es kühler ist. Ich bringe noch ein Paket zur Post, weil ich nicht mehr genügend Platz habe.
Bye, Tristan
Tristan und ich tragen Fahrräder und Gepäck vor das Hostel. Dann verabschieden wir uns, Tristan sehr nüchtern, ich vollkommen aufgelöst. Ich schaue ihm traurig nach, als er um die Ecke rollt. Gerade einmal 20 Meter schaffe ich es zu fahren, da muss ich mich schon auf eine Mauer setzen, weil es einfach nicht mehr geht. Ich telefoniere mit meiner Frau, die mich versucht aufzubauen.
Irgendwann schaffe ich es dann, langsam durch Rīga Richtung Nordosten zu fahren. Ich bin unaufmerksam und schaffe es kaum, mich auf das Fahren und den Verkehr zu konzentrieren. So bin ich froh, als ich die Stadt und den schwarzen Tag hinter mir lasse und durch das grüne Gelände vom Mezapark rolle, in dem auch der zoologische Garten von Rīga untergebracht ist. Momentan wird an einer riesigen Bühne für die regelmäßig stattfindenden Sängerfeste gebaut.
Zwischendurch schaffe ich es tatsächlich den obligatorischen Geocache in Lettland zu heben. Das Fahren hingegen fällt mir heute unendlich schwer – es fühlt sich kraftlos an, ich fahre mit halber Geschwindigkeit. Nach 30 Kilometern lege ich meine Mittagspause in Carnikava ein und quere kurz danach die Gauja. Der EuroVelo 10 folgt hier weiterhin dem Iron Curtain Trail EV13, ich freue mich jedes Mal, wenn ich eins der Schilder sehe.
Im Schwerkraftverkehr
Normalerweise folgen dann sehr gute Wege. Ich komme jedoch knapp vom Weg ab und lande auf einer Nebenstraße, die natürlich wie immer in Lettland in einer Sandpiste mündet. Mit meinem nun 45 kg schweren Fahrrad absolut kein Durchkommen. Ich wende also und der Weg führt mich wieder zurück auf die befahrene Hauptstraße. Teilweise zweispurig ist sie auch mit Schwerkraft-Verkehr befahren. Ab jetzt beschließe ich Kilometer zu machen und frühestens bei Kilometer 70 eine Pause einzulegen. Es fordert die ganze Aufmerksamkeit, da teilweise sich überholende LKW nebeneinander entgegenkommen oder an mir vorbeidonnern. Ich bin froh, dass ich den Verkehr über den kleinen Rückspiegel im Auge behalten kann.
Es ist ein komisches Gefühl, als der Zeitpunkt da ist, zu dem Tristans Flieger abhebt. Ich lese die vielen schönen Kommentare der Radreiseglück Follower auf Facebook und freue mich, wie viel Zuspruch Tristan und ich bekommen. Es ist wirklich motivierend für mich. Spontan drehe ich beim 2.000sten Kilometer ein kurzes Danke-Video und lade es hoch (ist natürlich erst abends live).
Etwa 75 km nach Rīga tauchen plötzlich wieder vereinzelt Radwege auf und dann … Sensation: Ein CCS 50 Schnellader für E-Autos mit bester Aussicht auf das Meer. Schnell hänge ich mein Rad dran, stelle aber anschließend fest, dass ich besser mich selbst aufgeladen hätte.
Tipp: Bei Kilometer 106 verlasse ich die Straße und fahre zum Urlaubsresort Rakari. Eine gute Entscheidung. Hier gibt es für jeden Bedarf etwas. Hütten werden genauso vermietet, wie Zeltgäste willkommen sind. Auch im Haupthaus mit stilvoller Bar und Restaurant. Ich zahle 5 € fürs Zelt und 2 € pro Person. Das ist sehr fair, zumal die sanitären Anlagen top sind, und Strom und Wasser überall auf der Zeltwiese kostenlos zur Verfügung stehen. Und das geilste: Ich bin der einzige Zeltgast! Was für ein Luxus – und wahrscheinlich auch Schlaf!
10 Kommentare
Hallo Bernd,
bei Twitter bin ich nicht vertreten, daher auf diesem Weg!
Ich, und ich glaube für uns alle 4 aus Bergisch Gladbach sprechen zu können, also wir sind in Gedanken bei Euch! Wir haben viel Respekt für Eure Entscheidung zur Tour grundsätzlich, aber insbesondere auch jetzt. Du bist der der (hoffentlich) durchhält, aber auch Tristan sowie Susanne und der Rest der Familie durchleben gerade sicher ein Wellental der Gefühle. Ihr alle habt Euch auf eine Reise begeben, die Euch mit Sicherheit weiterbringen wird. Jetzt fährt vielleicht nur noch einer, aber die Reise macht ihr alle – irgendwie…
Wir wünschen Euch viel Kraft und vor allem Dir Durchhaltevermögen! Mögest Du mit viel Erfahrung und gesund zurück kommen! Halte durch solange es sich „richtig „ anfühlt! Alles Liebe und Gute wünschen die 4 Ludemanns
Lieber Andreas,
danke für Deinen tollen Kommentar! Es stimmt, die Tour ist für uns alle eine Reise. Die Seiten sind ungeschrieben weiß. Und jeden Morgen füllen wir sie aufs Neue. Die Tour ist spannend, ich weiß (fast) nie, wo ich abends sein werde, und welche Menschen ich treffe. Mit Tristan war es genauso, und es ist super, dass er Teil davon war und damit auch weiterhin ist.
Hier auf Saaremaa fühlt sich alles richtig an. Aber es scheint ja auch die Sonne und ist eine tolle Insel.
Ich bin gespannt, wie es sich für uns alle weiterhin entwickelt.
In diesem Sinne: Radreiseglückliche Grüße aus Estland nach Bergisch Gladbach, Euer Bernd!
lieber Bernd, wie schade dass Tristan gegangen ist. Aber vermutlich kann man eigene Träume nur für eine kurze Zeit mit jemandem teilen. Diese Zeit hattet Ihr und Ihr habt sie genossen. Nun radelst Du Deinen Traum alleine und wenn die Traurigkeit verflogen ist, wirst Du auch wieder tolle Erlebnise haben. Mit anderen kurzzeitig Mitreisenden. Der Wandel ist immer ein Teil der eigenen Reise.
Ich sende Dir gute Gedanken und Stärke und den Silberstreifen am Horizont.
liebe Grüße Birgit
Liebe Birgit,
ja, so ist das mit Träumen. Vielleicht kann man „träumen“ deshalb bis heute nicht teilen? Ich bin froh, dass wir zumindest fast 2000 Kilometer die Radtour zusammen gefahren sind. Er ist ein schlauer Kerl, leicht gemacht hat er sich die Entscheidung sicher nicht.
Ich lasse mich drauf ein und bin gespannt, wie die Reise mir begegnet, wen ich treffe, wie ich mir begegne.
Saaremaa jedenfalls meint es gut mit mir, bei angenehmen 17 Grad radel ich für mindestens 2 Tage über diese tolle Insel.
Radreiseglückliche Grüße
Bernd
Lieber Bernd,
wie schade, dass Tristan nicht mehr dabei ist. Es tut mir sooo leid für dich und euch.
Wir haben uns ja vor deiner Abreise ueber Reisen/meine langen Reisen unterhalten – und es war bei mir und meinem Mann oft so, dass immer wieder etwas anders als geplant und/oder anders als erhofft war.
Ausserdem :Die Dynamik zwischen zwei sich nahestehenden Menschen auf einer langen Tour ist eine ganz andere als zu hause…..im positiven wie im negativen (wenn man das überhaupt so bezeichnen kann)….einfach in jeder Hinsicht.
Dir alles alles Gute für deine Weiterreise, den anderen und neuen zweiten Teil. Es wird bestimmt viel Tolles passieren !
Herzliche Grüße
Charlott
Liebe Charlott,
ja, die Dynamik hat uns eingeholt. Jetzt bin ich im eigenen Rhythmus unterwegs, und oft weiß man erst dann richtig, was man an den Menschen hat.
Ich sehe viel Tolles und doch weiß ich bei vielem, was ich sehe auch, dass ich sehr dankbar sein darf, wie gut es uns geht, und was für eine tolle und tolerante Familie ich habe.
Ich bleibe einfach neugierig, was da so auf mich zukommt!
Radreiseglückliche Grüße
Bernd
Lieber Bernd,
auch wir verfolgen immer mit Begeisterung und auch sehr viel Bewunderung über die Aufgabe die ihr Euch gestellt habt Deine News und Deinen Weg. Wir sind mit Dir sehr traurig, dass ihr Euren Weg nicht zu zweit zu Ende bringen werdet. Reichen 23 Tage um eine tiefgreifende Lebenserfahrung und die Besonderheit der Mission zu konservieren?
Kopf hoch, und alles gute für die weitere Tour. Und auch Tristan wünschen wir alles Gute für seinen Weg.
Es drücken Dich ganz fest, die Knappe’s ?
Liebe Stephie,
danke für Deinen lieben Kommentar.
Ich vermisse ihn sehr, heute habe ich mir sogar seine Kaugummis gekauft, mit denen er immer so lustige Knallgeräusche macht, statt zu klingeln.
Er ist 1/5 der Tour mitgeradelt und hat 4, fast 5 neue Länder auf fast 2000 km kennengelernt. Ich glaube er nimmt viel davon mit, auch wenn ich ihm noch mehr davon gewünscht hätte.
Ich setze die Tour fort, und er ist sicher in Gedanken dabei!
Radreiseglückliche Grüße aus Estland von der schönen Insel Saaremaa, Euer Bernd
Lieber Bernd,
Du bist nicht alleine unterwegs. Wir sind alle mit dabei auf allen Kanälen. Gute Fahrt! ? ?
Liebe Ingä,
das ist gut zu wissen. DANKE dafür!
Radreiseglückliche Grüße
Bernd