Ostsee-Umrundung | gesamt 1.614 km
Būtingė (LIT) – Pāvilosta (LVA) | Tag 21 | heute 127 km | ?
Was für eine Mückenplage gestern Abend! Jeder hat sicher 15 Mücken um sich herum. Ich checke vorm Schlafengehen noch, ob verschiedene Plätze runter zum Strand mückenfreier sind, während Tristan sich schutzsuchend in seinem Schlafsack verkriecht. Dann entscheiden wir, das Zelt aufzubauen, als einzig effiziente Methode die Biester fernzuhalten. Es ist schnell aufgebaut und Sophias Biwak verschwindet hinter unserem Zelt.
In der Nacht regnet es für ca eine Stunde und wir sind saufroh, das Zelt aufgebaut zu haben. Wir hätten sonst mitten in der Nacht aufbauen müssen, Daunenschlafsack und Regen passt nicht so gut zusammen.

Hallo Lettland!
In der Morgensonne wird aber alles flott trocken und wir sitzen gegen 10 Uhr auf den Rädern Richtung Lettland. Nachdem wir gegenseitig Grenzfotos geschossen haben, folgen wir der Landstraße auf lettischer Seite.

Wir haben kaum noch Wasser und müssen dringend auffüllen. Darum hoffen wir auf einen nahen Supermarkt oder ein Café. Denn die Sonne brennt vom Himmel und der leichte warme Gegenwind kostet uns Schweiß. Der Supermarkt kommt – aber erst gut 35 km nach der Grenze, bis dahin sind wir 40 km am Stück geradelt, und unsere Wasservorräte sind längst leer.
Sophia lacht, als sie mich mit einem vollen Einkaufskorb plus fünf Litern Wasser aus dem Markt kommen sieht. Aber der Inhalt ist rasch auf die Flaschen verteilt, und wir füllen aus dem Korb unsere leeren Kohlenhydratspeicher auf. Das eigentlich essentielle Frühstück kam zu kurz. So müssen wir zum Schluss kaum noch etwas verpacken.
Es geht weiter entlang der meist schnurgeraden, langweiligen Landstraße, irgendwann erwischt uns ein Schauer, den wir feiern, als hätte es seit Wochen nicht geregnet. So ähnlich ist es ja auch, wir haben in den knapp drei Wochen nicht einen Regentag gehabt. Bis Liepāia sind wir längst wieder trocken.
Tipp: Im Café Red Sun Buffet in Liepāja, Pasta iela 2, lassen wir es uns nochmal gut gehen, und dürfen unsere Geräte an den Strom hängen. Außerdem gibt’s WiFi, yippieh, ich bekomme den Blog live.
Abschied von Sophia
Schweren Herzens verabschieden wir uns von Sophia, nachdem wir auf der Weltkugel des Lokals noch markieren dürfen, woher wir stammen. Es waren drei schöne gemeinsame Tage. Wir teilten Essen, Ansichten, Ostseewellen, Lachen. Und sahen die kleinen Wunder in Form von Pflanzen und Tieren. Nebenher, nicht ganz unwichtig, fuhren wir noch ziemlich das gleiche Tempo. Okay, Sophia, Du warst oft etwas schneller!
Wir radelten gemeinsam in drei Ländern und überquerten die Kurische Nehrung auf russischem und litauischem Gebiet. Und wir erlebten gemeinsam einen Hundeangriff in der Oblast Kaliningrad, den ich mit einem Steinwurf neben den großen Hund erfolgreich abwehrte. Diese dritte Attacke hatte ich bislang vergessen zu erwähnen. Vielleicht sehen wir uns nochmal auf der Tour, denn ihre Stationen ähneln teils unseren. Tschüss, liebe Sophia, du fehlst uns beiden jetzt schon!
Erst gegen 17.30 Uhr, nach einem Gewitter, geht es für Tristan und mich zu zweit weiter. Wir besorgen zwei SIM Karten für mobiles Internet und verlassen die Stadt. Die Brücke stadtauswärts ist gesperrt, so dass wir fünf Kilometer Umweg in Kauf nehmen müssen. Wir kommen an einer tollen Kathedrale mit goldenen Kuppeln vorbei, die mitten zwischen den vernachlässigten Häuserreihen der heruntergekommenen Mehretagen-Siedlungen steht. Irgendwie passt es nicht.
Holocaust Mahnmal
Dann passieren wir ein Holocaust Mahnmal, das Jews Victims Of Fashism Memorial, und machen einen kurzen Abstecher. Ich bin sehr bedrückt, als wir das Gelände verlassen. Es bedarf nicht vieler Worte, die Bilder sprechen für sich. Mir ist für immer unbegreiflich, wie Intoleranz und Hass so regieren konnten.
Kurze Zeit später verwandelt sich der Weg in eine Piste, wir hubbeln uns über eine Länge von knapp acht Kilometern bis zu unserem Ziel. Das Problem ist nicht die Piste an und für sich, sondern die Wellen, die durch die Planierraupen in 10 cm Abständen eine Belastungsprobe für Mensch und Material darstellen.

Nach 87 Kilometern fahren wir geschafft einen Campingplatz an, denn wir wünschen uns nach zwei Biwak Nächten mit Ostsee Dusche nochmal etwas zum Klamotten waschen. Auf dem Platz ist eine Hochzeitsgesellschaft, die den ganzen Platz gemietet hat. Wir gratulieren der Braut höflich und müssen leider wieder verschwinden. Der nächste Platz ist weit entfernt, wir folgen wieder der langweiligen Landstraße. Zum Glück hat die Piste kurz danach ein Ende. Uns erwischt ein dicker Regenschauer, doch wir fahren weiter und kommen erst nach weiteren 40 Kilometern gegen 22:00 Uhr an einem Camping Platz an.
Ein freundlicher Lette hilft uns, den Besitzer zu kontaktieren. Muffelig werden 10 € einkassiert, nur auf Nachfrage wird auf das Plumpsklo gezeigt und eine Dusche wird zunächst verwehrt. Wir bestehen drauf und der Besitzer fragt tatsächlich den netten Letten, ob wir nicht in seiner Hütte duschen dürfe, obwohl noch ein Kind darin schläft. Am Ende findet sich eine Dusche in einem abgeranzten Schuppen, und immerhin: Warmes Wasser.
Lettische Einstellung
Ich spreche noch lang mit dem Letten und wir versuchen Lettland einzuordnen. Es liegt in der Entwicklung irgendwie zwischen Kaliningrad und Litauen. Vieles wird angefangen zu renovieren, und es gibt teils tolle alte, holzvertäfelte Häuser in Liepāia. Aber es gibt noch viel zu tun, und oft fehlt das Geld. Er erklärt mir, dass es zwei verschiedene Ansätze gibt. Die einen wollen sofort Geld, ohne zu investieren. Die anderen sind bereit zu investieren, um zukünftig daran zu verdienen. Leider, so meint er, gibt es von der ersten Sorte noch zu viele in Lettland.
Wir waschen unsere Sachen, hängen sie über ein auf der Wiese stehendes Volleyball Netz und fallen mit Mini-Abendessen müde ins Zelt. Die Zeilen tippe ich dank anderer Zeitzone bis fast 2 Uhr nachts.