Ostsee-Umrundung | gesamt 786 km
Mrzezyno (POL) – Wicie (POL) | Tag 10 | heute 114 km | ?
Wir queren nach sieben Kilometern den Kanal Resko nach Dzwirzyno. Entlang aalglatter Radwege folgen wir der Küstenlinie bis nach Kolberg, wo wir nach 22 Kilometern eine Pause einlegen.
Spendenfreude
Wir freuen uns beim Kaffee, dass Eurovelo auf Facebook unser Foto von der polnischen Grenze und unsere Spendenaktion teilt. Wir haben gestern wieder zwei große Spenden erhalten, und Tristan und ich sind wirklich gerührt. Eine der Spenden stammt von einer tollen Lehrerin von Tristan, die ihn lange begleitet und vor allem verstanden hat. Die immer Lösungen gesucht hat, auch wenn es mal schwierig wurde. Es treibt selbst mir die Tränen in die Augen beim Schreiben.
Die andere kommt von einem Geschäftspartner aus der Bankenzeit, mit dem ich mich immer wertschätzend auf Augenhöhe bewegt habe. Spenden, mit denen man nicht rechnet, ganz großartig! Aktueller Stand: 1125,50€!
Immer am Strand entlang durch Ustronie Morskie
Weiter geht’s! Wir durchfahren Ustronie Morskie, das sich wie ein Lindwurm am Strand entlangzieht. So auch der wundervolle Radweg, der aber überquillt vor Urlaubern. Wir müssen vorsichtig fahren, um keine Kinder anzufahren. Ein Radreisepärchen vor uns fährt sehr aggressiv und er touchiert einmal mit der Hinterradtasche ein Mädchen auf einem Tretroller. Ich grüße ihn später beim Vorbeifahren laut, er grüßt nicht mal zurück. Es gibt solche und solche Reiseradler.
Beim Mittagessen gegen 13:45 Uhr haben wir knapp 45 Kilometer geschafft. Preislich ist es so günstig, dass wir gerne ein Bistro ansteuern. Umgerechnet 8,46 € legen wir für ein Panini, Nuggets mit Pommes, eine Pepsi und einen Apfelsaft auf den Tisch.
Wir passieren das gigantische Festivalgelände des Sunrise Festivals, dass am 18. Juli für drei Tage in Uzdrowiska startet mit einem sehens- und hörenswerten Lineup der Electronic Music. Wir würden am liebsten dort bleiben, aber unser Zeitplan lässt es nicht zu.
Lehrstunde über slawische Kultur
In Koszalin treffen wir an einem Räucherofen auf Robert Sigmundsson. Er referiert mit anderen Begeisterten gerade über slawischen Ursprung und Wikinger. Robert spricht sehr gut Englisch, was uns in Polen doch ziemlich selten begegnet. Meist wird nur polnisch gesprochen, manchmal deutsch. Wir erfahren viel über die Mythologie der Slawen und warum die Seefahrer Bier mitnehmen. Und wie lange Würstchen geräuchert werden, bis sie resistent gegen Fliegen sind. Tristan darf einen echten Wikingerhelm aufsetzen. Ein paar haltbare Würstchen finden noch Platz in unserer Tasche, dann geht’s nach bestimmt einer Stunde Kultur weiter.
EuroVelo 10 und Radweg deluxe
Dann plötzlich ist es da, das erste EuroVelo Schild unserer Tour für die EuroVelo 10, die Inspiration unserer Tour! Es folgt etwas Bemerkenswertes: Der Radweg ist auf diesem Teilstück so gut ausgebaut, dass die Autos über Holperbetonplatten fahren müssen, während wir Radfahrer sanft dahingleiten. Dabei ist der Radweg leicht erhöht, so dass die Autos nicht den Radweg nutzen können. So darf Radfahren sein!
Ansonsten fällt uns hier in Polen auf, dass Auto- und Motorradfahrer oft aggressiv sind und sehr auf ihre Rechte pochen. Ich dachte, das sei eine deutsche Macke, aber hier ist es viel stärker. Wenn wir Radwege knapp verpasst haben und erst 50 Meter weiter drauffahren, werden wir nicht nur einmal gefährlich nah mit aufschreiendem Motor überholt. Ein Vorgeschmack auf Russland?
Die Chance auf unseren ersten 100er!
Der Weg führt nun um den See Jezioro Bukowo herum, was sich etwas zieht, wir haben jetzt 90 Kilometer auf dem Tacho. Tristan möchte für heute Pause machen, aber die 100 Kilometer spornen mich an, doch noch ein bisschen weiterzurollen, und Tristan lässt sich bei einer Pause an einer Kirche aus dem 15. Jahrhundert überzeugen.
Wenig später sind sie geschafft, die 100 Kilometer! Wir suchen einen strandnahen Campingplatz, da wir optional morgen einen Ruhetag einlegen möchten. Nachdem den ganzen Tag Campingplatz auf Campingplatz folgte, sind es nun plötzlich noch knapp 8 Kilometer. Autsch, das tut weh, zumal Tristan gerade über Limit radelt. Der GPS Pfad, dem wir folgen, führt uns entlang eines zugewachsenen Feldwegs und endet auf der Wiese vor einem Haus. Wir finden einen Querfeldein Weg zurück auf befahrbaren Grund.
Abkürzung – über Holperpfade nach Wicie
Um abzukürzen beschließen wir direkt am nächsten See entlang zu fahren, da wir auf der Karte einen Pfad erkennen. Ein Pfad ist es denn auch, stell Dir einfach den schlimmsten Ackerweg vor, die Spur vor langem Gras nicht sichtbar und nur auf einer Spur kaum befahrbar. Mehrfach schlägt es mir den Lenker weg. So werden die letzten 5 Kilometer nochmal richtig anstrengend, und ich schaffe es nicht mal ein Foto zu schießen vor lauter Konzentration und außer Atem sein. Ich muss laut lachen, als mich rechts ein Schmetterling überholt!
Der versteckte Campingplatz in Wicie, den wir schließlich ansteuern ist hingegen ein Kleinod. Kaum zu finden, superruhig, direkt hinter der Düne, Grasplatz, und die Chefin behandelt uns mit gebrochenen Deutsch herzensfreundlich. Die sanitären Anlagen sind schlicht, werden aber gerade ausgebaut. Morgen wird auch für die Herren neu eröffnet. Wir bauen das Zelt auf und essen um halb zehn eine Pizza im Ort, wir wollen nicht noch laut rappeln mit Geschirr.
Nach dem Essen ein Blick auf die wilde See, es ist sehr windig, die zwei bis drei Meter hohen Wellen finden ihren Weg bis unmittelbar an den Strand. Fasziniert stehen die Menschen minutenlang wie angewurzelt dort und betrachten das Spektakel im Abendgrauen.
Es ist mucksmäuschenstill, als wir um 22:30 Uhr zurück sind. Wir duschen noch kurz und ich stelle noch eine Abstimmung auf die Radreiseglück Facebook Seite, ob wir morgen einen Tag regenerieren sollen, wegen Achillessehne und Gelenken. Dann kuschel ich mich in den flauschigen Schlafsack und falle schnell in einen tiefen ruhigen Schlaf, begleitet nur vom immerwährenden Meeresrauschen und dem Wind.
2 Kommentare
Hallo Bernd & Tristan, Eure Berichte erfreuen mich jeden Tag aufs neue und machen deutlich, dass Glück und Freude nicht käuflich sind. Ich finde es toll, wie konsequent und ohne großen Pathos oder erhobenen Zeigefinger ihr dafür einsteht, dass wir mit unserer Welt verantwortungsvoll umgehen sollten. Ich wünsche Euch weiterhin den notwendigen Rückenwind für das Projekt und auch auf der Straße!
Lieber Matthias,
danke für Deinen so wertschätzenden Kommentar! Es ist genau das, was uns jeden Tag aufs Neue antreibt, sozusagen unsere Energie für lange Radfahrtage! Ich freue mich besonders, dass Du die Blog Einträge verfolgst, die ich oft bis 1 Uhr nachts verfasse…:)
Radreiseglückliche Grüße
Bernd