Appingedam – Leer | Heute 77 km | Gesamt km 684
Wir warten, bis die Sonne das Zelt vom nächtlichen Regen getrocknet hat und frühstücken Müsli. In Appingedam gibt es einen ersten Kaffee mit Blick auf die über dem Wasser hängenden Küchen, die ursprünglich der Warenanlieferung dienten. Später wurden bei knappem Wohnraum die Küchen darin ausgelagert.
In einem ‚Eine Welt Geschäft‘ finden wir neben einer praktischen Edelstahl-Trinkflasche mit integriertem Becher auch ein schönes Geschenk für Kristina, die die ganze Fahrt zu Hause nach dem Rechten sieht. Sie wird sich sehr freuen! Danke, Kristina, wenn Du dies liest ♥. Der Plan ist, die Tour heute zu beenden und die circa 60 Kilometer bis Leer zu schaffen. Dort wollen wir den Tourabschluss würdigen und eine Nacht in einem Hotel verbringen. Am Vorabend war nichts frei, aber jetzt, last minute, können wir ein Zimmer buchen.
Wir fahren durch Delfzijl und werfen einen Blick in die ‚Bocht von Watum‘. Die Stadt wird als malerisch beschrieben, der Hafen ist jedoch eine einzige riesige Baustelle mit Blick auf ein stinkendes Industriegebiet, das uns nun die nächsten zehn Kilometer begleitet. Der häßlichste Teil der Tour. Schnell weiter. Es wird warm und wir legen eine kurze Pause ein im Hafen von Termunterzijl. Hier am Dollart ist die letzte mögliche Badestelle, doch der Blick auf den Sandstreifen hinter dem Betondeich ernüchtert, insbesondere mit dem Gedanken an die Industrieanlagen von vorhin.
Es folgt ein anstrengender Teil mit konstantem leichtem Gegenwind, der uns seit heute Morgen entgegen bläst. Susanne hat Bauchschmerzen und für einen Moment zweifeln wir, ob wir es nach Leer schaffen. Aber nach einer Pause auf dem über Kilometer schnurgeraden Feldweg geht es weiter. Zum Glück haben wir heute Zeit bis abends, da wir keinen Zeltplatz finden müssen.
Wir kommen ins nächste Dorf ‚Kostverloren‘, irgendwo im Nirgendwo, circa fünf Kilometer vor der deutschen Grenze. Links in einer Einfahrt steht eine Lotus Elise, ein kleiner englischer Renn-Flitzer, den ich hier jedenfalls nicht erwartet habe. Als der Besitzer merkt, dass ich stehen geblieben bin, kommt er nach vorn. Twan hat die Elise extra aus England importiert, sie ist rechtsgesteuert. Schnell fahren macht ihm damit gar nicht so viel Spaß, schon gar nicht auf deutschen Autobahnen, da er dort jeden Schlag der Betonplatten fühlt. Er cruist lieber über die Wege am Deich und liebt die direkte Steuerung und die Kurven. Deich-Cart-Feeling inklusive!
Eigentlich sind wir schon ziemlich geschafft, aber im Gegensatz zu den anderen Tagen müssen wir heute das gebuchte Ziel erreichen. Knapp 60 km sind erreicht, als wir die deutsche Grenze überschreiten. Wir machen kurze Rast bei einem stärkenden Stück Käsekuchen, wissen aber, dass wir uns verschätzt haben und noch 20 Kilometer weiter müssen. Am Ems Kanal vorbei geht es weiter und gegen acht Uhr abends beenden wir unsere Tour geschafft aber glücklich in Leer. Es war die härteste Etappe, sie fühlte sich eher wie 100 km an. Julian und Susanne haben alles gegeben.
Leer empfängt uns als besonders fahrradfreundlich. Mehrfach werden wir von Radfahrern angesprochen, wohin wir wollen und bis zum Hotel geführt. Die drittgrößte Stadt Ostfrieslands ist Knotenpunkt vieler nationaler und internationaler Radrouten. Viele ausgewiesene Fahrradstraßen und Regelungen bestätigen die Bemühungen, jedoch ist es noch nicht ein solches Miteinander von Auto- und Radfahrern wie in den Niederlanden. Hier besteht eher noch jeder auf seinem Recht. Ist es typisch deutsch oder einfach der Weg dahin, dass deutsche Städte radtauglich werden? Es bleibt halt eine Herausforderung, bestehende Strukturen so umzuwandeln, dass Radwege integriert sind. Rund wird es erst, wenn neue Projekte sofort Radwegen viel mehr Raum zollen. Für weniger Unfälle, weniger Staus und lebenswertere Innenstädte.
Bei einem leckeren Abendessen mit kühlen Bierchen und Limo feiern wir die 700 km lange Tour! Morgen wird der letzte Tag in Leer sein. Bis Mittags werden wir uns die Stadt ansehen und dann gibt’s den letzten Teil unseres Reiseberichts.